Ende einer Feier Kapitel 02

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Die Personen sind immer noch über 18 Jahre alt.

WARNUNG Ich lege Wert auf Atmosphäre, deshalb entwickelt sich die Geschichte langsam.

Wer durchhält, wird belohnt. 😉

Teil 2

Wir hielten im blau-blassen Licht einer Aral-Tankstelle, umrahmt von alten Linden. Durch die Büsche hörte man das leise Rauschen der Autobahn.

Lucia hielt mich von hinten umklammert und schnauzte mich manchmal an, langsamer und nicht über jede Bodenwelle zu fahren.

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Als wir vor der Glasscheibe des Tankstellen-Kioskes anhielten fröstelte sie leicht und strich sich mit der flachen Hand über die glatte Haut unterhalb des Schlüsselbeines. Ich sah, dass sie eine Gänsehaut hatte, war aber selbst ohne Jacke da.

„Äh“; sagte sie, als ich reingehen wollte. „Ähm. Hol Tampons. Mittelgroße. Wo du grad dabei bist. Danke. „

An der Kasse bezahlte ich eine Packung OB und fragte den Kassierer nach Mitteln gegen Kopfschmerz.

Er sah nach außen, zu mir, nach außen, zu mir, grinste und reichte mir verschwörerisch zwei Aspirin, die er „immer unter der Kasse hatte, für sich selbst“. Er sah noch einmal durch das Glas, meinte ein kurzes „Viel Spaß“, und verschwand auf der Personaltoilette hinter ihm.

Ich war seinem Blick gefolgt und blieb vor dem Sortiment verschiedener Soft-Getränke und Chipsdosen stehen. Meine Schwester, Lucia, stand neben dem Motorroller, hinter ihr glitzerte eine zerbrochene Ölspur, sie hatte mit beiden Armen ihre Schultern umschlungen und betrachtete abwesend das Vorderrad.

Ihre goldene Haut besaß einen Abglanz von Blau und Neonhell, und ich weiss nicht, woran es genau lag, aber der raue Betonplatz, der Widerschein der Ölpfützen, ihr Cocktail-Kleid, ihr Mascara, die dunklen Schemen der Bäume außerhalb des Lichtfleckens, der einfache Umstand, dass sie verloren wirkend an einer einsamen Tankstelle stand, all das machte sie älter und zu einem Mädchen, dessen nackte Waden glänzten, und sie wirkte nicht mehr wie meine Schwester.

Ich verstand, was der Kassierer in uns gesehen hatte. Wir ähnelten uns nicht. Und, jetzt, war ich seltsamerweise froh darüber und melancholisch.

Ich wandte mich ab, ging nach draußen, gab ihr die zwei Aspirin und klemmte mir beim Aufsitzen die Packung Tampons zwischen die Knie. Ihr Blick war nüchtern geworden, und scheu.

Während wir fuhren, hielt sie mich eng umschlungen, ihre Schenkel berührten meine.

Als wir nach zehn Minuten Fahrt ankamen, waren die Fenster unseres Hauses bereits dunkel.

Leise schloss ich die Wohnungstür auf, leise tappsten wir barfuß durch das schwarze Wohnzimmer und an den Fuß der Treppe. Unsere Eltern schliefen bereits.

Ich war müde und fühlte mich ausgelaugt, ich wusste nicht, von was. Meine Hand tastete im Schein meines Handys nach meiner Türklinke. Auf einmal fühlte ich einen warmen Atem an meiner Wange und ein winziges, wisperndes „Pssssht leise“. Leicht genervt sah ich zur Seite und erwartete niemand anderes als Lucia.

Ihr Gesicht war so nah an meinem, dass ich eines ihrer kitzelnden, feinen Haare an meiner Nase spürte. Stumm trat sie einen Schritt zurück und schepperte in den schwarzen Staubsauger, fast unsichtbar im Dunkel des Flures. „Ah. Shit“, fluchte sie unterdrückt, griff nach dem umgefallenen Staubsaugerrohr, hielt auf halber Strecke inne und zuckte mit den Schultern. Mit den Fingern hielt sie eine Whisky-Flasche und eine weiße, golg-silberglitzernd bedruckte Pappschachtel.

„Was zur -„, entfuhr es mir, dann leiser: „Woher hast du den Whisky und das – das Zeug da?“

„Das?“ meinte sie schelmisch und wackelte mit beidem.

„Schwedischer Whisky Jahrgang 1995, ein Dezemberkind wie ich. Und Romeo Y Julietta, Habanas de la Cuba. Hm? Hmmm? Totalmente a Mano?“

„Du hast sie nicht alle“, flüsterte ich. „Woher hast du auf einmal das Geld dafür?“

„Ich habe immer Geld“, sagte sie und zwinkerte. „Immer dann, wenn ich es will. „

Das durfte nicht war sein. Ihre Vorliebe für absurden Symbolismus – Schwedischer Dezemberwhisky wie mein Vater, kubanische Zigarren wie meine Mutter – wurde nur von einem getoppt: ihrer Vorliebe für absurden Symbolismus.

Gleichzeitig ärgerte es mich, dass meine Schwester ihre augenscheinliche Attraktivität zur Aufbesserung ihres Taschengeldes einsetzte. Konnte nur hoffen, dass es beim Zeitungsaustragen geblieben war und nicht – „wie hast du das Geld bekommen? So'n Whisky kostet mindestens 400 Euro. Du bist kein Sparertyp. “

Meine Schwester setzte ein undurchdringliches Gesicht auf und den Zeigefinger an die Lippen.

„Du bist im falschen Körper geboren, Robert Langdina“, sagte ich.

Sie zuckte mit den Schultern, winkte mich mit der Hand her und wisperte „Mir Nach!“

Ich folgte ihr und verglich diese Schwester mit der, die vor Jahrhunderten im Sandkasten Burgen baute, auf deren Spitzen ich ungeschickt Lego-Männchen platziert hatte. Mir fiel auf, dass wir uns in den letzten zwei Jahren etwas auseinandergelebt hatten. Wahrscheinlich lag es nur an der Stimmung des Momentes, als mir solche Gedanken kamen, aber das war der Grund, weshalb ich einem Mädchen mit Kurven, die ich nie zuvor bemerkt hatte, und Whisky und Zigarren in den Garten folgte.

Wir waren barfuß und das taunasse Gras war klammkalt zwischen den Zehen. Ich hatte die Tür der Terrasse geschlossen und war ihr in die Wiese gefolgt. Unwillkürlich sah ich zum Himmel hoch; er spannte sich dunkler, klarer, kälter über unserem Haus. Die Sterne hingen wie Nachtfrost vor der Milchstraße.

Das Haus unserer Familie war renoviert, sah neu aus, war aber uralt. Es hatte vier Etagen ohne Keller und Dachboden, von denen wir nur drei bewohnten.

Auf der letzten Etage hatten unsere Großeltern gelebt, bis sie vor sieben Jahren gestorben waren. Heute hingen nur noch Spinnweben, alte Hinterlassenschaften und der Geruch einer anderen Jugend dort oben. Vier Generationen vor uns hatten vier Stockwerke benutzt, wir dagegen nur drei.

Der Garten war der einzige Teil, der noch grünte, wuchs, blühte. Er war mindestens 24 große Schritte breit und ging 56 Meter den Hang aufwärts. Keine Ahnung, was meine Schwester im Garten wollte, aber sie hatte sich ungeduldig umgedreht.

„Okay“, murmelte ich. „Okay“. Die Grashalme kitzelten, und wir gingen beide nebeneinander den Hang hinauf.

Nach fünf Metern kamen wir an einem Haufen Fallobst vorbei, lieblos zusammengepfercht.

Nach weiteren 14 Metern tauchten Bäume zu beiden Seiten auf, so alt wie das Haus, und gepflegt. Mein Vater war Baumenthusiast. Er würde einem kranken Baum mehr Aufmerksamkeit als einem todkranken Kind widmen. Kalt und mit einer akribischen, dickbrilligen Leidenschaft für Grünzeug.

Je weiter wir gingen, desto wilder wurde der Garten. Die Gräser wurden höher und strichen uns um die Knie, dann um die Hüften, die Bäume dünner, zahlreicher, verwinkelter, flechtenbehangener und ich betete, dass hier keine Disteln wuchsen.

Schließlich waren wir am Ende des langen Grundstückes. Ein durchhängender Maschendrahtzaun zerteilte die Wiese, dahinter war der Umriss der großen Kirche in den Nachthimmel gestanzt.

Ich atmete auf.

Grillen zirpten dünn und krierend.

„Lucia?“ Sie stand drei Schritte neben mir. „Gleich“, sagte sie und trat mit ihrem Fuß gegen den Maschendrahtzaun. „Gib mir ne Sekunde und halt das mal. „

Wartend hielt ich Whisky und Zigarren wie ein schlafendes Baby und sah zu, wie sie den ohnehin laschen Zaun teilweise niederriss und ihn auf den Boden drückte, damit wir beide rüber konnten.

„Wohin?“ fragte ich nochmal und folgte ihr über die harten Drahtgitter.

Sie schwieg.

Schweigend standen wir vor dem morschen, zerfledderten alten Ding. Wind, Regen, Unwetter, Stürme hatten die meisten seiner Lederziegel abgedeckt, die rohen Holzbohlen standen aber noch. Sonne, Kälte, Hitze und Mond hatten die Wände gegerbt und mit rauer Zunge über die Tür geleckt: sie war voll kleiner und großer Splitter.

Aber das winzige Kinderhaus stand tatsächlich noch. Nach vier Jahren. Nicht schlecht.

Wir hatten das Grundstück verlassen und waren zwanzig Meter nach links gegangen, hinein in noch höhere, wildere Wiesen, deren Boden zum Glück einigermaßen trocken war, und an den Rand des Waldes fern der Wanderwege und Spaziergänger.

Nichtmal die Eulen nisteten hier. Ich hatte das Gefühl, dass es purer Zufall gewesen war, der uns das Haus noch einmal entdecken lassen hatte. Es hatte 4 gottverlassene Jahre im Wald gestanden, der sich als dunkler Ring um die gleichsam winzige Lichtung schloss, und es stand immer noch.

Jetzt standen wir vor ihm und schwiegen minutenlang.

Als mir die Stille zu lang wurde, wandte ich den Kopf nach rechts und betrachtete das Gesicht meiner Schwester.

Ihr elegantes Profil verschwamm mit den Zweigschatten, Zweigschatten lagen auf ihren cremefarbenen, bloßen Schultern und in ihren dunklen Augen lag ein Ausdruck, den ich noch nicht kannte und nicht deuten konnte. Melancholie, sicher, und vage Spuren von … etwas. Sie war nicht Ich.

„Du warst hier“, sagte ich unbewusst und erschrak über meine im Schweigen so laute Stimme.

„Ja“, sagte Lucia. „Nicht jeden Tag, aber einmal in der Woche, einmal im Monat, alle paar Monate einmal.

Stille. Die Whiskyflasche kühlte meinen Arm und wurde schwerer. Vorsichtig gingen wir durch das jetzt dicke, ungezähmte Gras und zum Haus, vorsichtig, als würden wir uns einem schlafenden Drachen nähern. Je näher wir kamen, desto stärker wurde der leichte Geruch von Moder, morschem Holz, etwas Scharfem, Kräuter vielleicht.

Lucia presste eine Hand auf das Holz und sah durch eines der Fenster. Ich konnte durch das angelaufene, beschlagene Glas nichts erkennen.

„Manchmal habe ich vergessen, dass es noch hier stand“, sagte sie. „Dann bin ich sofort nach der Schule hierher gekommen, um zu sehen, ob es noch stand. Es ist … schnell grau geworden, von rot zu grau. „

Ihr Blick wanderte zum Dach und zu mir. „Manchmal war mir, als würde ich einem Vergessenen beim altern zusehen. “ Ihre Worte klangen klarer als sonst, und nachdenklicher, gewählter als am Tag.

Das war eine Seite meiner Schwester, die ich nicht kannte. Ich hatte diese Seite noch nie gesehen und wusste nicht, was ich tun sollte. Mit dem Mädchenjungen, dem Tomboy, der lachenden, wütenden, neckischen, nervigen Version meiner Schwester konnte ich reden. Nicht mit dieser. Ich wusste nicht, ob ich meine Schwester sah oder einen Teil meiner eigenen Erinnerung, meiner Kindheit. Vielleicht beides. Es ist schwierig zu beschreiben.

Für einen Moment sah ich einen Moment zu, wie sie ausdruckslos die Wand anstarrte.

Für eine Sekunde zeigte sich ein flüchtiger Schmerz in ihren Augenwinkeln, vielleicht auch nur ein Lichtreflex der Mondstrahlen, dann drehte sie sich abrupt um und zeigte auf die Flasche und auf die Zigarren.

„Stell sie innen ab. „

Es dauerte, bis Lucia die Tür aufbekommen hatte. Das Regenwasser hatte das Holz aufquellen lassen, und sie schloss nicht mehr richtig.

Innen war es wärmer, als ich gedacht hatte.

Und dunkler. Man sah die sprichwörtliche Hand nicht vor den Augen.

Plötzlich blitzte eine kleine, goldene Flamme auf. Lucia hielt ein kleines, blaues Feuerzeug und lächelte verlegen. Ich hob fragend eine Braue, sie wies vage in Richtung Dekolleté. Achso.

„Man weiss nie“, wich sie aus und hielt die Flamme an den Docht einer weißen, halb niedergebrannten Kerze.

„Von dir?“ fragte ich. Sie schüttelte den Kopf.

„Manchmal übernachten hier Bettler. Manchmal habe ich Mittags Kerzenstumpen und Metalldosen gefunden, die gestern noch nicht da waren. „

Sie zündete eine zweite, dritte, vierte und fünfte Kerze an, bis im ganzen, kleinen Raum dämmrig-warmes Licht herrschte.

Es gab ein doppelt handgroßes Fenster, ein wackelig aussehendes Bettgestell mit Matratze samt durchgelegenem, aber überraschend sauber aussehendem Bezug, einen dicken, lückenhaften Teppich, einen dreibeinigen Tisch und einen Stuhl, auf dem ich saß.

Lucia setzte sich auf die Kante des Bettes und sah mich an.

„Warum?“ fragte ich. „Du hast mir nie etwas davon gesagt. “

Sofort kam mir der Satz dumm vor. Warum sollte sie? Sie hatte keinen Grund.

Lucia zog die Schultern hoch, antwortete, aber nicht auf die Frage.

„Ich wasche hin und wieder den Bezug und den Teppich.

In diesem Haus liegt ein Großteil meiner Erinnerungen bis Vierzehn. „

Sie griff nach der Flasche, die auf dem Tisch stand, schraubte den Verschluss ab und trank zwei kräftige Schlucke.

„Äääähhhhaaaa“, räusperte sie und klopfte sich auf das Brustbein. „Nuss-Aroma? Wo?“

„Nur auf dem Etikett“. Ich grinste, nahm ihr die Flasche ab und trank selbst einen Schluck. Ich wollte nicht betrunken werden, nur mitmachen.

Die Flasche war ohnehin ziemlich klein, kaum faustgroß.

Aber sie hatte Recht. Für Nobelzeug war es ziemlich stark. Bereits nach wenigen Minuten spürte ich einen leichten Rausch. Wir waren beide Wenigtrinker.

Meine Schwester leerte etwas mehr als die Hälfte der Flasche in erschreckend kurzer Zeit.

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