Vormundschaft 01

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Ich bitte um Nachsicht wegen Grammatik und Orthographie. Es ist länger her, dass ich Geschichten in Deutsch geschrieben habe und noch viel weniger in der Ich-Form.

Die Welt der Cathérine Ferrer soll Verbindungen mit inzestuösem Charakter in einer Welt mit mittelalterlichem Anstrich und entsprechend starken Tabus erkunden – und dies im Gegensatz zu der freien Welt der Catherina Mueller.

Die Vormundschaft – Teil 1

Prolog –

Es war mehr als irritierend.

Catherina Mueller hatte den dringenden Verdacht, dass sie schwere psychische Probleme hatte oder in einem andauernden Traum gefangen war. Aber falls sie in einem Traum gefangen war, dann war es schwer zu entscheiden, was die Realität war. Seit einem Jahr schlief sie jeden Abend ein, und träumte, dass sie am nächsten Morgen als Gräfin Cathérine aufwachte und alltägliche Szenen eines Tages durchlebte. Aber jeden Morgen war sie dann dieselbe Catherina wie in der Nacht vorher.

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Merkwürdig war es auch, dass ihr Traum immer vom vergangenen Tag handelte. Sie erlebte jeden Tag der Woche quasi zweimal. Das konnte nicht normal sein!

Und sie erlebte jeden Tag der Woche in der anderen Welt auch als Cathérine. Die erste halbe Stunde am Morgen war so immer die schlimmste, weil sie immer desorientiert war. Danach war sie jeweils in ihre Welt genügend weit eingetaucht, um sich wieder sicher und vertraut zu fühlen.

Es war eigenartig, dass ihre Erinnerungen für die zwei Personen an ihre Eltern praktisch identisch waren. Die Erinnerungen insgesamt waren lückenhaft und eigenartig farblos. Nur die nahe zurückliegenden Erinnerungen vom letzten Jahr hatten Gefühle mit den Fakten verbunden. Davor war es einfach, als ob man ein Geschichtsbuch lesen würde.

Allerdings hatte ihre jüngere Schwester Kathleen auch schon einmal angedeutet, dass sie ungewöhnliche Träume über eine alternative Welt hatte. Vielleicht war das ja eine Familienkrankheit?

Catherina Mueller war Absolventin des deutsch-französischen Studienganges in Soziologie.

Sie selber hatte seit einem Jahr eine der extrem seltenen Vollzeitstellen als Doktorandin und pendelte zwischen den beiden Universitäten von Saarbrücken und Metz hin und her. Im Jahr 2048 hatte sie eine sehr gute berufliche Zukunft vor sich, denn eine Vollzeitstelle war praktisch die Garantie für eine nachfolgende Professur. Dieses Pendeln schränkte aber ihr Privatleben ein, sie konnte daher zu ihrem Bedauern ihren Geliebten in Montpellier nur selten sehen. Sie hatte ihn vor einem Jahr in Montpellier bei der Präsentation ihrer Studie kennen gelernt.

Danach hatte dieser eigenartige Traum angefangen.

Das Thema ihrer Master-Arbeit war die Änderung des Integrationsansatzes von muslimischen Einwanderern nach Frankreich seit dem 11. September 2001 gewesen. Man hatte, wie auch in anderen Ländern, die Stellung der Frauen – und speziell der muslimischen Frauen – bewusst und mit Verve gestärkt und ebenso bewusst die Stellung von autokratischen Männern geschwächt. Damit war die Integration der Einwanderer bedeutend besser gelungen.

Die drohende Invasion des Iraks hatte in 2003 abgewendet werden können, weil alle EU-Länder geschlossen das Gewicht der gesamten EU eingebracht hatten, um den Status quo im Nahen Osten zu erhalten, selbst Iran, Israel, Russland und die Türkei waren auf diesen Kurs eingeschwenkt.

Gleichzeitig waren die Mittelmeeranrainerstaaten eingebunden worden und Marokko, Tunesien waren EU-Kandidaten. Danach war seit 2017 die um die Türkei erweiterte EU zu einem Bundesstaat geworden mit einer machtvollen, britischen Präsidentin an der Spitze, die sich im Einklang mit ihren Kolleginnen in Frankreich und in der Türkei wusste und auch die junge deutsche Kanzlerin hinter sich hatte. Es gab praktisch kein Nahostproblem mehr, daher auch kein Migrationsproblem. Dafür gab es eine Akzeptanz von wirtschaftlichem Einfluss, der beunruhigend war.

Ebenso gab es eine Macht gewisser Unternehmen in der Eurasischen Zone, die ebenfalls nicht normal war. Aber was war schon normal? Das Klima ganz gewiss auch nicht. Weine aus Mecklenburg hatten inzwischen ein Renommee wie solche ehemals aus Bordeaux. Und Wirbelstürme waren nicht mehr ungewöhnlich. Catherina Mueller wusste aus der historischen Analyse, dass dieses früher alles ganz anders gewesen war. Und sie hatte eine eigenartige Ahnung, dass sich vieles für sie persönlich ändern würde, sobald sie das Jahr 2053 erreichen würde.

Das Jahr, in dem ihr Alter Ego Cathérine Ferrer ihre Selbständigkeit verlieren würde. Und diese bizarre Ahnung verstärkte noch ihren Verdacht, dass sie schizophren war oder schlimmer noch, an multiplen Persönlichkeiten litt.

Gräfin Cathérine Ferrer, geborene Mueller, war gestresst wegen ihrer aktuellen Situation. Ihr Ehemann galt seit nun bald zehn Jahren als vermisst, was ihr einen für eine Frau im streng katholisch ausgerichteten Catalunya beachtlichen Freiraum ermöglicht hatte. Sie war eine der wenigen Frauen, die als Vormund ihres minderjährigen Sohnes Vermögensverwaltung betreiben konnte.

Die meisten Witwen kamen sofort unter den Vormund des erwachsenen Sohnes oder des Bruders des Verstorbenen oder häufiger noch unter den Vormund des zuständigen Adelsherrn. Sie war offiziell keine Witwe, damit konnte sie nicht unter Vormundschaft gestellt werden, da formal ihr Mann dieses Recht besaß, aber er war eben nicht da. Sie spendete auch dem Bischof Geld, damit er nicht an diesem Status rüttelte. So konnte sie ihren Sohn so aufziehen und ausbilden lassen, wie sie es wollte.

Sie wusste seit einem Jahr, dass ihr Mann geschickt untergetaucht war, um sich den von ihm verursachten Problemen als Vasall des Herzogs von Barcelona zu entziehen. Er war bis dahin einflussreicher Graf seines ausgedehnten Besitzes im Languedoc gewesen. Er hatte in 2043 kurz vor seinem Verschwinden erheblich mehr Geld eingesteckt, als für seine Geschäftsreise nötig war. Dann war er auf mysteriöse Art und Weise beim Unglück eines Schiffes nach Mallorca verschwunden.

Es gab von den rund dreihundert Passagieren an Bord nur drei, die vermisst wurden und er war genau einer davon. Die damalige Frau des Herzogs von Barcelona war ebenfalls unter den drei Vermissten. Vor einem Jahr war alles ans Licht gekommen. Das war der Beginn der Träume.

In der Welt der Cathérine Ferrer hatte sich die EU nach dem Irak-Krieg langsam aufgelöst bis auf das Feigenblatt eines komplett entscheidungsunfähigen Europarates.

Der Euro war Geschichte. Frankreich und Spanien waren genau wie Deutschland graduell nach 2004/2005 zerfallen in autonome Regionen mit ihren eigenen Währungen. Der Nordwesten von Frankreich und der Nordosten sowie große Teile der Mittelmeerküste waren fest in der Hand des Front National, und nur wenige Muslime lebten dort. Alle anderen Regionen waren zu unterschiedlichen Graden unter eine Art von religiösem Recht gefallen. Als Ausnahme gab es das weltanschaulich ‚neutrale‘ Paris, das allerdings im Süden von strenggläubigen Emiraten umzingelt war, im Westen von fundamental Christlichen und im Norden von dogmatischen Rechtsradikalen.

Gräfin Cathérine Ferrer war mit gut 33 Jahren an der Wasserscheide angekommen. Die Grafschaft von Perpignan hatte, wie die allermeisten der katholisch orientierten Kleinstaaten in Frankreich und Spanien, eine rein männliche Erbfolge in den Statuten verankert. Bisher hatte sie für ihren bis dato siebzehnjährigen Sohn Jean-Marie Baptiste die Vormundschaft, da ihr Mann nach einem Jahr Abwesenheit als offiziell vermisst galt. So hatte sie seit bald neun Jahren eigene Entscheidungen treffen können, auch wenn ihr Sohn diese auf dem Thron sitzend nach außen vertrat.

Sie hatte aus dem Haus gehen können, wann immer es ihr passte und ihn mitnehmen können. Mit seinem achtzehnten Geburtstag am nächsten Wochenende würde sich das rein rechtlich drastisch ändern. So konnte sie nur wählen, ab nächstem Wochenende die Kontrolle über ihr Leben an den neuen Haushaltsvorstand, nämlich ihren Sohn, ganz abzugeben oder vor seinem achtzehnten Geburtstag das neue Angebot der Ehe mit dem Herzog von Barcelona einzugehen. Vermutlich würde ihr Sohn nach seiner erfolgten Volljährigkeit auch nicht den Wunsch des Herzogs nach einer Doppelhochzeit abschlagen können.

Er würde mit der Tochter des Herzogs verheiratet werden und sie mit dem Herzog selber.

So oder so wäre es mit ihrer Unabhängigkeit vorbei. Egal ob Ehefrau des Herzogs von Barcelona oder Mutter ihres dann erwachsenen Sohnes in Perpignan, der jeweilige männliche Haushaltsvorstand konnte über ihren Aufenthaltsort und ihr Vermögen bestimmen. Sie würde nicht einmal mehr aus dem jeweiligen Haus gehen können, ohne den Haushaltsvorstand um Erlaubnis fragen zu müssen.

Sie wusste nicht was sie machen sollte –und tat somit nichts.

Rein theoretisch konnte sie sich auch in die von der Front National beherrschte Zone nach Marseille absetzen, aber das war garantiert nicht besser für einen Flüchtling aus einer katholischen Region. Allein die bewachte Grenze zu passieren, war für eine katholische Frau gleichbedeutend mit Ketzerei und Hochverrat am Christentum. Selbst angenommen sie könnte das schaffen, dann war es nicht sicher, ob die fanatischen Religionshasser sie aufnehmen würden.

Sie konnte nur zwischen Pest und Cholera wählen.

Schwere Entscheidungen

Ich wachte wieder einmal desorientiert auf. Dieser seit einem Jahr wiederkehrende Traum belastete mich mehr und mehr. Es war doch verrückt, was ich alles träumte. Heute am Freitag fuhr ich wieder einmal nach Montpellier — und das war gar nicht so weit von Perpignan entfernt, dem Ort meines letzten Traumes.

Diesmal war es in einer Hinsicht noch verrückter als sonst gewesen.

In meinem Traum war ich verzweifelt gewesen, weil ich im Traum als Cathérine einen sehr wertvollen, magischen Ring und Ausweise für eine Flucht in einem dunklen Keller gesucht hatte, den sie über einen Geheimgang erreicht hatte. Sie hatte im Traum Hinweise auf das mehr als vierzig Jahre alte Versteck gefunden und dessen wertvollen Inhalt. Es gab sogar ein sehr detailgetreues Foto des Ringes. Sie hatte das Versteck gefunden, aber den Safe nicht öffnen können.

Als Cathérine hatte sie sich sehr gewünscht einen Laptop benutzen zu können, um das elektronische Schloss des Safes knacken zu können. Alle Computer waren in ihrer Welt jedoch extrem rar und kostbar geworden.

Allein das letzte war schon absurd. Mich verblüffte es immer wieder, wie in meinem Traum so etwas Preiswertes wie ein einfacher Laptop zu einer Kostbarkeit werden konnte.

Andererseits war ich als Kind schon für meine fantasievollen Geschichten bekannt gewesen.

Schätze hatten schon immer meine Fantasie angeregt. Für den Ring konnte ich mich schon eher erwärmen, auch wenn ich die magischen Eigenschaften natürlich als rein schmückendes Element meiner Fantasie ansah. In meinem Traum war der glitzernde weiße Diamant auf der einen Seite von einem großen, strahlend blauen Tansanit und auf der anderen Seite von einem ebenso großen, idealen Rubin eingefasst. Der Ring musste ein Vermögen wert sein. Ich glaubte sogar das Gebäude zu kennen, unter dem sich der Keller befand.

Nicht nur durch meinen Traum, sondern auch als reales Gebäude auf meiner letzten Reise nach Spanien vor zwei Jahren. Was einmal wieder bewies, dass Träume durchaus reale Ereignisse aufgreifen. Ich wurde nun von der Neugierde geplagt, ob es tatsächlich einen Keller unter diesem Gebäude geben würde und vielleicht sogar ein Versteck. Natürlich war das Spinnerei, aber eine reizvolle. Ich beschloss einen Abstecher mit meinem Elektromobil nach Perpignan zu machen, bevor ich nach Montpellier fuhr.

Von Perpignan bis nach Montpellier war es nur rund eine Stunde Fahrt. Das konnte man schon als Umweg in Kauf nehmen.

Das Gebäude war abseits von der Stadt gelegen. Es sah eher baufällig und unbewohnt aus — und sicher nicht so gut in Schuss wie in meinem Traum. Vor zwei Jahren war ich daran in der Distanz vorbeigefahren, als ich wegen eines Autobahnstaus eine Umleitung gewählt hatte. Die Front des Hauses sah aber im Prinzip genauso wie in meinem Traum aus.

Jetzt war ich neugierig auf die Rückfront. Tatsächlich gab es am benachbarten Hügel ein wildes Gestrüpp, hinter dem eine Treppe herunter führte. Es war ähnlich wie in meinem Traum. Jetzt hatte die Neugier mich voll in ihrem Griff.

Anders als in meinem Traum war die Tür komplett zugewachsen. Ich war enttäuscht, denn ohne Werkzeug war hier nichts zu machen. Ich beschloss am nächsten Tag mit dem entsprechenden Gerät aus dem Baumarkt wiederzukommen.

Bei Nachbarn erkundigte ich mich und erfuhr, dass Land und Gebäude seit Jahren wegen Erbstreitigkeiten verlassen waren. Mein Freund Robert war amüsiert, als ich ihm von meiner Schatzsuche erzählte. Natürlich ging ich am ersten Abend mit ihm aus. Weil ich früh aufstand und auch früh schlafen ging, war es für mich schon ungewöhnlich, als ich erst kurz vor 23 Uhr wieder in seiner Wohnung war.

Natürlich war ich am Samstagmorgen wieder desorientiert, als ich aus meinen exotischen Träumen aufwachte.

Gräfin zu sein in der Welt von Cathérine war zwar durchaus luxuriös in mancherlei Hinsicht, aber auch stressig in religiöser Hinsicht. Wie ich bloß auf den Gedanken kam, dass es im Jahre 2053 wieder eine Inquisition gab? Amüsiert nahm ich zur Kenntnis, dass ich als Cathérine in meinem Traum mich um Robert und damit meinem eigenen Liebhaber beneidete. Wie verrückt war das denn? Mich selber zu beneiden, war schon mehr als eigenartig, auch wenn es nur im Traum geschah.

Am späten Nachmittag kam ich endlich dazu im Baumarkt einzukaufen. In weiser Voraussicht zog ich unempfindliche Jeans, ein leichtes Sweatshirt und robuste Wanderschuhe an. Ich erwarb eine Akkuheckenschere und zwei Taschenlampen. Vorsichtshalber nahm ich auch meinen Laptop mit, auch wenn ich mich selber auslachte über das Ernstnehmen meiner Träume. Aber es bestand ja trotzdem die minimale Chance, dass im Keller tatsächlich Reichtümer verborgen waren. Es war albern, ja, denn bei Erbstreitigkeiten hatten sicherlich die zukünftigen Eigentümer schon alles gründlich durchsucht, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

In der Dämmerung machte ich mich an die Arbeit. Schneller als erwartet war die verrostete Tür freigelegt. Sie ließ sich mit einiger Mühe öffnen. Den Gang erleuchtete ich mit der Stabtaschenlampe. Es roch ziemlich modrig und sah auch so aus. Der Gang erwies sich als kurzer Stichgang, der nach links in Richtung Haus führte. Vorsichtig stieg ich über die Knochen von Kadavern, die nach Katzen aussahen und vermied es tiefer zu atmen. Ich war nach einigen Minuten beim Haus angekommen, denn die verschlossene Tür konnte nichts anderes bedeuten.

Die Tür aus Stahl war mit einem ziemlich solide aussehenden Zahlenschloss gesichert. Es sah ziemlich anders als das in meinen Träumen aus, aber ich versuchte es wider alle Hoffnung doch mit demselben Zahlencode, den auch Cathérine in meinen Träumen benutzt hatte. Zu meinem grenzenlosen Erstaunen öffnete sich das Schloss tatsächlich. Ich zog vorsichtig die Tür auf. Ich war wie vom Donner gerührt, als der Keller dahinter tatsächlich weitgehend so wie in meinem Traum aussah.

Nur die Wand, wo der Safe gewesen war, sah definitiv anders aus. Ein Wandteppich bedeckte die Wand, die in meinen Träumen kahl gewesen war. Das sah so aus, als ob die Eigentümer den Safe und seinen Inhalt längst entfernt hatten, falls es den Safe überhaupt jemals hier gegeben hatte und nicht nur in meinen Träumen. Na ja, es wäre ja auch zu schön gewesen! Aber es glomm noch ein Fünkchen Hoffnung in mir.

Ich tastete den Wandteppich ab. Und tatsächlich, meine Finger erspürten die metallenen Umrisse des Safes. Ich ließ die Campingleuchte stehen und machte mich nur mit der Stabtaschenlampe zurück auf den Weg zur Eingangstür, um die Heckenschere zu holen. Mit dieser gelang es mir mit einiger Mühe ein großes Loch in den Wandteppich zu schneiden. Der Safe war da! Es gab ein beleuchtbares Ziffernfeld wie aus den frühen Jahren des neuen Jahrtausends. Zum ersten Mal keimte echte Hoffnung in mir auf.

Vielleicht fand ich tatsächlich einen Schatz!

Ich wollte zu meinem Elektromobil zurückstürmen, musste aber draußen langsamer gehen, weil es inzwischen schon stockfinster war. Ich schaffte meinen Laptop mit der integrierten Kamera heran. Ich richtete die Kamera auf das zehnstellige Zahlenfeld. Wenn ich Glück hatte, dann war das Programm zur Bildanalyse wirklich der Schlüssel zum Erfolg. Die richtige Ziffer oder Zahl blinkte angeblich für eine tausendstel Sekunde, wenn sie eingestellt war.

Das war mit unbewaffnetem Augen nicht zu sehen und auch mit der Kamera nicht leicht zu detektieren. Mit viel Geduld machte ich mich an die Arbeit. Für die erste Stelle brauchte ich bald eine Stunde, bis ich mir sicher war, dass es funktionierte. Wiederholbar zeigte sich beim kleinen ‚c‘ dieses charakteristische Blinken zwei Sekunden nach der Eingabe. Das senkte die Zeit für die zweite Stelle auf zwanzig Minuten.

Aber jetzt war es bereits bald zweiundzwanzig Uhr.

Ich musste meinen Freund benachrichtigen, damit er sich keine Sorgen machte.

Normalerweise war ich um diese Uhrzeit längst im Bett. Ich ging wieder zu meinem Auto zurück und sandte eine erklärende SMS zu ihm. Dann ging ich mit klopfendem Herzen zurück in den Keller. Um halb zwölf war ich schon so erschöpft, dass mir bald die Augen zufielen. Um Mitternacht war es endlich soweit. Der Safe öffnete sich. Ich sah den Ring.

Er funkelte im Licht der Taschenlampe. Ich konnte nicht widerstehen. Ich setzte ihn mir auf. Plötzlich roch es anders im Keller. Definitiv anders!

Die Überraschung

Dann starrte ich auf die Wand. Der Wandteppich war plötzlich verschwunden. Ich hörte in der Ferne Schritte. Panik brach in mir aus und ich schnappte meinen Laptop und die Taschenlampe. Ich eilte zur Tür und öffnete sie zum Gang. Ich traute meinen Augen nicht.

Der Gang war sauber und besaß plötzlich Fackelhalter! Was war hier los?

Dann erblickte ich die Frau, die um die Biegung des Ganges kam. Sie trug in der Hand eine windgeschützte Laterne mit einer dicken Kerze als Licht. Ich stand wie angefroren da.

„Du musst Catherina sein, nicht wahr? Ich bin Cathérine…“

Mir wurde weich in meinen Knien. Das durfte nicht wahr sein! Träumte ich schon wieder? Das konnte nur ein Traum sein!

„Catherina, du musst mir helfen! Der Herzog… Also, ich kann diesen alten und grausamen Mann nicht heiraten, auch wenn der Bischof sein Bistum zusammen halten will.

Aber ich kann auch über die Landesgrenzen nicht nach Paris flüchten. Und da kannst du mir helfen, denn in deiner Welt gibt es keine Grenzen zwischen Perpignan und Paris. Wir haben nur wenig Zeit, also musst du dich schnell entscheiden. “ Ich war immer noch total verblüfft. Das war in meinen Träumen bisher nie vorgekommen.

Natürlich war es spannend in meinen Träumen eine Gräfin zu sein, aber das war ein Traum und keine Realität…

„Cathérine, existierst du wirklich? Und wieso redest du von Welten und wer bist du eigentlich? Ich träume von dir, ja — aber ich weiß eigentlich nicht wirklich, wer du bist.

„Catherina, du weißt eigentlich schon wer ich bin, aber du glaubst es nur nicht. Deine deutsche Mutter Eve ist am 20. März in Bagdad geboren worden und dein katalanischer Vater Jean-Claude Mueller in Figueras in Spanien. Genau wie meine Eltern. Nur war das Bagdad vom 20. März 2003 sehr unterschiedlich für unsere Mutter. Unsere Eltern haben sich in Paris im März 2019 getroffen, das damals noch in beiden Welten ähnlich war.

Du bist genau wie ich dann am 20. Januar 2020 in Metz geboren worden. Und das Metz von 2020 war natürlich auch sehr unterschiedlich. Aber das weißt du eigentlich auch alles, aber willst es nicht wahrhaben. „

Das stimmte natürlich. Ich konnte nur mit den Augen blinken. Was sie mir sagte, hieß nichts anderes, als dass wir praktisch identisch waren, aber in Parallelwelten lebten, weil wir in ein sehr unterschiedliches Metz hineingeboren worden waren.

Oder sagte ich mir das in meinem Traum? Egal, ich musste mehr wissen:

„Cathérine, wie soll ich dir helfen?“

„Catherina, du gibst mir den Ring, dann kann ich in deine Welt wechseln und nach dem Paris in deiner Welt reisen. Dort bin ich vor dem Herzog und dem Bischof sicher. Danach schicke ich dir nach meinem Wechsel in meine Welt den Ring mit einem verlässlichen Boten hierher und du kannst zurück.

Ich war platt vor Verblüffung. Mein Traum wurde immer abgefahrener! Das war mehr als blühende Fantasie. Ein magischer Ring bereicherte meinen Traum! Allerdings war es auch kein logischer Traum. Wie sollte denn dieser Tausch vor sich gehen, wenn Cathérine in Paris war und ich hier? Welcher Bote würde einen solchen Schatz übergeben und nicht für sich behalten? Und warum würde Cathérine überhaupt wieder zurück wechseln wollen in diese Welt? Natürlich, im Traum war alles immer einfach.

Ich knurrte etwas in der Art vor mich her.

„Catherina, sei doch kein Dummerle! Natürlich will ich wieder in meine Welt zurück. Hier lebt doch mein Sohn, der mich dann in Paris besuchen kommen kann! Und natürlich kannst du auch zum Tauschen nach Paris, denn du bist ja keine Bürgerin von Katalonien. Du kannst also ausreisen, wenn du mit dem Händler als männlicher Begleitung reist, den ich bereits angesprochen habe.

Alternativ kannst du auch mit meinem Sohn in militärischer Begleitung, also ganz auf sichere Weise reisen. Ihm kann ich heute noch einen Brief schreiben, na ja vielleicht erst von Paris aus. „

Ich verstand jetzt gar nichts mehr von meinem Traum. Das war auch ein Novum. Sonst war mir immer alles sofort einleuchtend in meinen Träumen erschienen, auch wenn manche Ideen nach dem Aufwachen einfach hirnrissig waren. „Cathérine, das ist doch alles schwachsinnig! Ich kann doch schlecht als Catherina Mueller hier auftauchen und so tun, als ob ich deine Reinkarnation bin oder sowas in der Art.

Und wie willst du überhaupt nach Paris kommen und wovon willst du dort leben?“

Mein Gegenüber lächelte schlau und siegesgewiss. Sie schien genau diese Einwände erwartet zu haben. Ihr elegantes Kostüm aus reiner Seide in einem Taubenton unterstrich noch den Eindruck der Selbstzufriedenheit. Ich konnte mich nicht erinnern, dieses Kleidungsstück schon einmal im Traum an ihr gesehen zu haben. Aber ich hatte mich schon immer gewundert, welche Mode dies war.

„Schätzchen, für die Menschen hier wirst du meine fünf Jahre jüngere Schwester Cathleen sein, die im Herzogtum Lorraine als Gesellschaftsdame und Erzieherin der jungen Comtesse von Metz lebt.

Ich habe auch noch ihre vom Herzog ausgestellte Aufenthaltserlaubnis für Katalonien. Auch mein Kostüm stammt von ihr. Dein Laptop wird den Ruf der reichen Dame nur festigen. „

Natürlich, ich hatte ja auch meine um fünf Jahre jüngere Schwester Kathleen. Das war nicht ganz unlogisch. Allerdings war meine Kathleen weder Gesellschaftsdame noch kannte sie irgendeinen Adligen, sondern studierte noch. Jetzt begriff ich allmählich. Ich übertrug meine Verhältnisse auf meine Träume. Auch die elegante aber leicht im Retrolook aussehende Kleidung von Cathérine war vermutlich ein Abglanz meiner geschichtlichen Studien mit den zahlreichen Fotos aus dieser Epoche.

„Catherina, das ist doch alles ganz einfach. Du gibst mir alle deine Bankkarten und dein Elektromobil, während du als meine ‚jüngere Schwester‘ hier alle Annehmlichkeiten des gräflichen Besitzes genießt. Siehe es einfach als ungefähr zweiwöchigen Urlaub an. Ich bin zuversichtlich, dass meine kleine Schwester in Metz einen vertrauenswürdigen Boten finden kann. Und sobald du den Ring hast, kannst du wieder in deine Welt zurück. Denke daran, es geht nur durch das Aufsetzen des Ringes zwischen Mitternacht und ein Uhr nach Mitternacht! Oder du reist nach Paris mit dem Händler oder meinem Sohn.

Du wartest solange, bis du meine neue Adresse in Paris kennst, wo ich dir den Ring übergeben kann. „

Langsam begann ich zu zweifeln, ob das alles wirklich ein Traum war. Aber es konnte ja nur ein Traum sein. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Und das nahm Cathérine wahr.

„Catherina, du willst doch auch nicht, dass ich diesen grässlichen, alten Herzog heiraten muss, nicht wahr? Also los, dann mach schon!“

Zögernd überreichte ich ihr das Portemonnaie aus meiner Jeans und die Autoschlüssel.

Cathérine begann zu strahlen.

„So, jetzt schnell noch die Kleidung tauschen — und dann brauche ich noch eine Einführung ins Autofahren. Du nimmst nachher den Gang zur Rechten. Er wird dich zum Sommerpalazzo der Familie führen. Dort wartet meine Zofe Floria auf dich. Sie ist eingeweiht. „

Ich handelte wie im Traum. Natürlich, ich war ja auch in einem. Es war sehr surreal. Ich gab Cathérine mein Sweatshirt und öffnete meine Jeans.

Cathérine hatte natürlich eine ähnliche Figur wie ich selber, nur etwas breitere Hüften. Na ja, sie hatte ja auch ein Kind geboren.

„Catherina, auch an die Unterwäsche denken. Es darf keinen einzigen Hinweis darauf geben, dass du nicht aus dem Lothringen meiner Welt stammst!“

Ich starrte sie für einen Moment an, dann zuckte ich mit den Schultern. Ich zog auch mein weißes Unterwäscheset aus und sie zog sich auch aus.

Ich war für einen Moment perplex, als ich das Muttermal an der linken Hüfte von der nun nackten Cathérine sah. Genau dasselbe, was ich auch an dieser Stelle hatte. Dann fragte ich mich, warum das anders sein sollte. Ich war ja auch im Traum Cathérine gewesen. Aber eigentlich hatte ich noch nie einer Schizophrenen gehört, die sich selber gegenüber stand. Vielleicht würde ich in die Annalen der Medizin eingehen.

Dann zog ich mechanisch die zartblaue, spitzenbesetzte Seidenwäsche von Cathérine an.

Das mechanische Agieren machte schnell einem Gefühl von Luxus Platz, als ich den seidig verwöhnenden Eindruck dieser exquisiten Lingerie auf meiner Haut genoss. Eigenartig, wie detailliert dieser spezielle Traum war. Langsam streifte ich mir die feine Bluse über und schlüpfte in den knielangen Rock des Kostüms. Ich stieg in die Söckchen und die relativ flachen, dunkelblauen Pumps. Dann hängte ich mir das Jackett des Kostüms um die Schultern.

„Na gut, Cathérine.

Lass‘ uns zum Elektromobil gehen. Das Navigationssystem wird dich zu meinem Freund führen. Ich schreibe ihm eine kleine Notiz, dass ich dir als meiner Cousine das Auto geliehen habe. Du musst nur wissen, wo du den Schlüssel reinsteckst. Den Rest macht das Auto…“

In der Zwischenzeit hatte Cathérine sich schon längst umgezogen. Die Jeans spannten bei ihr sichtlich über Hüften und Po. Wir gingen beide hinaus durch die Tür und die Treppen hinaus ins Freie.

Ich leuchtete dorthin, wo das Auto stand. Nur stand dort keins!

„Meine Güte, das Elektromobil ist gestohlen!“, ich war in Panik.

„Catherina, ganz ruhig. Das ist völlig normal. Du bist in meiner Welt, weil du den Ring aufgesetzt hast. In meiner Welt gibt es keine Elektromobile und nur wenige gasbetriebene Autos. Wenn ich den Ring aufsetze, dann wirst du vor meinen Augen verschwinden und stattdessen das Auto für mich auftauchen.

Gib mir bitte deine Taschenlampe und ich gebe dir meine Laterne. Und schreibe bitte deine Notiz über deinen zweiwöchigen Urlaub bei einer lieben Freundin an deinen Freund, bevor du mir den Ring gibst. “

Cathérine wirkte ganz entspannt. Ich schrieb die Notiz wie in Trance. Es war alles so unwirklich. Schließlich überreichte ich Cathérine den Ring. Ich kam mir ein bisschen wie im Herrn der Ringe vor. Ein unsichtbar machender Ring! Meine Fantasie ging wirklich mit mir durch.

„Catherina, mach‘ dir keine Sorgen. Du wirst bald wieder in deiner Welt sein. Ich danke dir jedenfalls, weil du mir so unendlich geholfen hast! Vergiss deinen Laptop nicht!“

Cathérine umarmte mich herzlich und setzte dann den Ring auf. Es wurde dunkel, als die helle Taschenlampe und sie selber mit einem leisen Plopp verschwanden, als die umgebende Luft das Vakuum auffüllte, wo sie eben noch gestanden hatte. Ich fühlte mich plötzlich unendlich allein als ich mit der relativ dunklen Laterne in der Hand auf dem Feld stand.

Jetzt war eigentlich der Moment wo ich aufwachen müsste, aber es tat sich nichts.

Ich drehte mich um und ging zu der Eingangstür in den Gang. Ich wandte mich wie geheißen nach rechts, dann hielt ich inne und holte erst meinen Laptop. Ich folgte dem Gang wohl mehrere hundert Meter, bis eine angelehnte Tür zu Stufen führte. Ich ging hinauf. Am Ende der Stufen befand sich eine weitere angelehnte Tür.

Ich trat hindurch. Neben der Tür saß Floria, die Frau die ich schon so häufig in meinen Träumen gesehen hatte, auf einem Stuhl und war offensichtlich eingeschlafen. Bei dem Anblick wurde auch ich extrem müde. So spät war ich nur sehr selten aufgeblieben.

Floria schreckte auf, erhob sich und lächelte: „Willkommen in Perpignan, Lady Cathleen. “

Sie betonte ‚Lady Cathleen‘ so ausdrücklich, dass mir klar wurde, dass Floria dies ganz bewusst betonen wollte.

„Darf ich Sie in ihr Zimmer führen, Lady Cathleen?“

Ich folgte ihr einfach und ließ mich dann wie üblich von ihr ausziehen und in ein weißes Nachthemd kleiden. Ich hatte diese Szene schon so häufig in meinen Träumen als Cathérine erlebt, dass es mir ganz vertraut vorkam. Kaum war ich im Bett, da schlief ich schon ein.

Der nächste Morgen

Ich wachte am Sonntag desorientiert auf.

Das war nichts Neues für mich. Neu war es dagegen, mich plötzlich daran zu erinnern, wie ich mich selber mit den Augen von Cathérine gesehen hatte. Das war mir noch nie passiert. Mich überkam ein Schwindelgefühl. Es musste der Punkt um Mitternacht gewesen sein, als wir uns beide getroffen hatten, denn danach hatte ich nicht mehr als Cathérine geträumt, ich jedoch hatte noch meine Erinnerungen als Catherina. Was das hieß, war mir noch nicht klar.

Es gab eine Grenze um Mitternacht. Ja, aber war das ein klares Zeichen für fortschreitende Schizophrenie oder nicht?

Ich erschauderte, als ich mich umsah. Das war weder mein Zimmer in Saarbrücken noch die Wohnung meines Freundes in Montpellier!

Langsam begann ich mich mit der Möglichkeit vertraut zu machen, dass es gestern kein Traum gewesen war. Es gab vielleicht tatsächlich einen magischen Ring, so unwahrscheinlich das auch klingen mochte.

Floria, die Zofe von Cathérine, kam ins Zimmer und legte lächelnd Kleidung bereit. Wie eine Komplizin blinzelte sie mir zu:

„Lady Catherina, ich meine natürlich Lady Cathleen, hier haben Sie ein einfaches aber elegantes Kleid für den ersten Tag nach Ihrer Ankunft. Das Frühstück wird in einer halben Stunde bereit sein im kleinen Esszimmer. “ Ich machte mich im Bad fertig und zog das blaue, gut geschnittene und wadenlange Kleid an, das nur mit spitzenverzierten Ärmeln glänzte.

Gedankenverloren machte ich mich auf den Weg zum Frühstück.

„Mama??“, der junge, schlanke Mann am Tisch schaute verwirrt drein und stand unvermittelt auf. Ich erkannte ohne Zweifel den Sohn von Cathérine, Jean. Es war absolut eigenartig. Der Widerhall der Empfindungen von Cathérine beim Anblick ihres Sohnes drängte sich abrupt in mein Gedächtnis. Es war doch anders ihn als Catherina zu sehen oder ihn durch die Augen von Cathérine wahrzunehmen. Er sah muskulöser aus als in den Träumen und gleichzeitig kleiner als gedacht.

Ich fühlte mich unerwartet gehemmt – vielleicht auch durch die Ansprache als Mutter oder durch die Erinnerungen von Cathérine über ihren Sohn. War der junge Mann eigentlich mit mir verwandt? War ich mit seiner Mutter verwandt? Waren ihre Eltern meine Eltern? Es war verwirrend.

„Nein, Graf Jean-Marie, ich bin — also, ich bin ihre Schwester Cathleen, ich meine deine Tante Cathleen. Du hast mich zuletzt, glaube ich, vor vier Jahren gesehen — und du bist selber ganz schön verändert.

Ein richtiger Graf…“

„Verzeih‘ mir, aber ich hatte dich anders in Erinnerung. Jetzt hast du eine sehr frappierende Ähnlichkeit mit meiner bewundernswert fraulichen Mama. „

Ich biss mir leicht nervös auf die Lippen. Wenn Cathleen hier ähnlich aussah wie meine Schwester Kathleen, dann war sie einige Zentimeter kleiner als ich selber und das fiel natürlich auf. Aber vier Jahre waren eine lange Zeit und Menschen veränderten sich.

Ich wusste nicht so recht, was ich antworten sollte und versuchte scherzhaft die Frage der Ähnlichkeit zu umgehen:

„Ich hoffe doch, dass diese Bemerkung als Kompliment gemeint war und nicht deine Art mir verblümt zu sagen, dass ich sichtlich älter geworden bin, Jean?“

Ich musste lächeln, als es ihm für ein paar Momente die Sprache verschlug. Er war es weder gewohnt diplomatisch mit Frauen umzugehen, die keine Bediensteten waren, noch einfach mit der Kurzform seines Namens angeredet zu werden.

Er war ein schüchterner Bücherwurm und versteckte sich auf dem Thron hinter formaler Höflichkeit und zurechtgelegten Phrasen, wie ich sehr wohl aus den Erinnerungen von Cathérine wusste.

„Ähh, nein, nein – natürlich nicht. Ich meine, meine Mutter sieht genauso jung aus. “ Er schien schnell zu merken, wie das ‚genauso jung‘ für eine wesentlich jüngere Schwester ein zweifelhaftes Kompliment darstellte und fügte schnell hinzu: „Sie ist eine hübsche und sehr attraktive Dame, genau wie du in ihrem Kleid, Cathleen.

Jetzt war es an mir, leicht rot zu werden und verlegen zu wirken. Ich hatte nur von der Ähnlichkeitsfrage ablenken und nicht nach Komplimenten fischen oder gar flirten wollen — und doch erschien es so, als ob ich genau das hatte provozieren wollen.

Ich hatte natürlich seit einem Jahr viele Dinge über ihn durch die Augen von Cathérine quasi mitbekommen, aber dieser direkte Kontakt war doch anders.

Seine Naivität war durchaus süß. Seine Unerfahrenheit mit dem schöneren Geschlecht war bei zehn Jahren Altersunterschied nicht unerwartet.

„Jean, darf ich nachträglich zu deinem Geburtstag gratulieren? Alles Gute für dich!“

Er war sichtlich erfreut und nickte zufrieden. Dann stutzte er plötzlich. Er sah mich etwas zweifelnd an, so als ob ich ihm einen Streich spielen wollte:

„Nur meine Mutter nennt mich eigentlich Jean. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, dann hast du mich sonst ‚Kleiner‘ oder, wenn du ärgerlich warst, Jean-Marie genannt.

Du bist auch genauso groß wie meine Mutter und deine Stimme ist so ähnlich. „

Ups, natürlich hatte ich im letzten Jahr Cathérine ihren Sohn jeweils Jean hören nennen. Und für meine Stimme konnte ich nichts. Ich war nun mal nicht seine Tante Cathleen.

„Also Jean-Marie, wenn du lieber so genannt werden möchtest, kein Problem. Klein bist du ja jetzt nicht mehr. Du hast mich vier Jahre lang nicht mehr gesehen, vielleicht ist deine Erinnerung nicht ganz so frisch.

„Herr Graf, ihre Mutter lässt ihnen noch schöne Grüße bestellen und einen herzlichen Glückwunsch ausrichten. „

Dann runzelte er seine Stirn, als er Floria's Einwurf hörte. Er sah sich suchend im Raume um und musterte dann die Zofe:

„Floria, wo ist meine Mutter heute? Sie war gestern nervös, obwohl sie ein hervorragendes Geburtstags-Menu zum festlichen Abendessen für mich zusammengestellt hat. “

Die Zofe räusperte sich und blickte zu hin, als ob sie sich von mir Hilfe holen wollte.

Dann räusperte sie sich und erklärte etwas zögernd:

„Herr Graf, Ihre Mutter hat sich wegen der geplanten Ankunft des Herzogs für Ihre heutigen Krönungsfeierlichkeiten auf eine Reise begeben, um sich beraten zu lassen. Ihr Aufenthaltsort soll geheim bleiben. Die Schwester von der Gräfin ist eingeweiht und hat einen Laptop mitgebracht, um die Reise zu ermöglichen. „

Das mit dem Laptop war zwar sachlich richtig, aber ich würde das nur ungern erklären.

Ich wünschte mir, dass Floria dieses Detail ausgelassen hätte, als sowohl Jean als auch die gerade hereingekommene Bedienung aus der Küche die Ohren sichtbar spitzten.

„Ein Laptop!? Kann ich den mir anschauen? Ich habe noch nie einen in den Händen gehalten. Das ist ja unglaublich. „

Der Laptop hatte die ganzen Fragen bezüglich meiner mangelnden Ähnlichkeit mit seiner Tante vom Tisch gefegt. Vielleicht hatte Floria deswegen diesen Punkt erwähnt.

Aber jetzt erst sickerte bei mir ein, was der Besuch des Herzogs bedeuten konnte. Er würde sicherlich nicht erfreut sein, dass Cathérine nicht anwesend war. Ich musste unbedingt mit Floria bereden, wie ich mich verhalten sollte.

„Jean, ich kann dir gerne einmal zeigen, wie er funktioniert. Aber gleich muss ich erst einmal wissen, was für die Feierlichkeiten geplant ist und wann der Herzog ankommt. Wir müssen ihn doch gebührend empfangen.

Der Jüngling zuckte nur mit den Schultern, als ob das nur eine Nebensächlichkeit sei. Vielleicht war er das auch gewohnt, aber ich war es nicht.

„Das hat doch alles schon der Haushofmeister Claude erledigt. Es ist doch nur die formelle Bestätigung. Mama hat mir gestern das Zeremonienschwert und die Grafenkrone offiziell übergeben. Das ist das was zählt! Mama hat dafür gesorgt, dass ich einen guten Hauptmann und eine treue Garde habe.

Die Zeremonie in der Kirche mit dem Herzog und dem Bischof ist doch nur Schauspiel fürs Volk. „

‚Schauspiel fürs Volk‘ klang in meinen Augenziemlich herablassend. Das hatte ich so von ihm nicht erwartet. Aber er sah auch so aus, als wollte er etwas angeben, wie gut er alles im Griff hatte. Wollte er mich beeindrucken oder nur den Macho spielen? Und eine weitere Warnlampe blinkte in meinem Gehirn auf, als ich das Wort Bischof hörte.

Cathérine war immer sehr vorsichtig mit dem Bischof gewesen. Er war nämlich der Grund, weshalb Cathérine in den neun Jahren nie Anstalten gemacht hatte, einen Flirt oder gar eine Beziehung anzufangen. In den Augen der Kirche war sie immer noch verheiratet gewesen — und die Kirche war mächtig in Katalonien. Mächtig genug um sie vor den Machtspielen des Herzogs zu schützen, der nur zu gerne ihre gut geschulte Militärtruppe übernommen hätte.

Auf der anderen Seite auch mächtig genug, um irgendwelche Verfehlungen sofort auszunutzen. Eine Anklage von Ehebruch hätte sie mit sofortiger Wirkung um ihre Vormundschaft gebracht und noch mehr. Ehebrecherinnen wurden unabhängig von Status und Stellung grundsätzlich kahl geschoren und im Büßergewand durch die Straßen aus der Stadt getrieben in das außerhalb der Stadtgrenzen liegende Freudenhaus. Danach blieb es ihnen nur noch übrig als Hure für alle Männer zu dienen, falls sie nicht verhungern wollten.

Es war keiner Seele erlaubt, sie wieder aufzunehmen. Der Eigentümer vom Freudenhaus musste den Zehnten als Bußgeld an den Bischof zahlen.

Nein, ich würde auch sehr vorsichtig sein mit den Mächtigen hier vor Ort. So langsam begann ich es zu bedauern, auf was ich mich da eingelassen hatte. Ich hatte eigentlich bis zu dem Moment an einen Traum geglaubt, wo das Elektromobil nicht mehr aufzufinden war und Cathérine plötzlich vor meinen Augen verschwand.

„Floria kann dich über den Ablauf informieren, werte Tante. “

Ich fasste das als Signal für die Beendigung der Frühstückstafel auf und steuerte auf mein Zimmer zu. Floria folgte mir auf dem Fuße. Sie schloss die Tür hinter mir ab.

„Lady Catherina, meine Herrin hat mich gebeten Ihnen so gut wie nur irgend möglich zu helfen. Dazu gehören auch Warnungen. Der Herzog ist skrupellos, nehmen Sie sich vor ihm in Acht.

Er ist der Hauptgrund, weswegen meine Herrin unbedingt hier weg wollte. Der junge Herr ist seit gestern volljährig. Der Bischof wird nun nicht mehr darauf bestehen, dass die Gräfin als verheiratet anzusehen ist. Sie wird nicht mehr als Vormund benötigt und meine Herrin konnte nicht mehr an den Bischof spenden, da seit der Volljährigkeit die Vermögensverwaltung an den jungen Herrn übergeht. Der Herzog hätte gerne mehr Einfluss in der Grafschaft von Perpignan und wird den Bischof mit großzügigen Spenden verwöhnen.

Der Herzog wird den jungen Herren mit seiner Tochter verheiraten wollen, nun da er nicht mehr direkt Einfluss durch eine Heirat mit der Gräfin nehmen kann. Wenn sie es verzögern können, bis meine Herrin schreibt, dann tun Sie es bitte. “

Ich nickte kurz. Die Zofe war ganz offensichtlich noch mehr die Vertraute von Cathérine, als ich schon angenommen hatte. Die Erinnerungen an meine Träume waren wohl lückenhafter als geglaubt.

Es gab hier mehr Ränkespiele, als mir jemals durch die Träume von Cathérine bewusst geworden waren.

„Der junge Herr wird in der Kirche das Schwert von dem Herzog erhalten und die Krone wird von dem Bischof mit dem Segen Gottes auf das Haupt des jungen Grafen gesetzt werden. Vorher muss er einen Treueschwur auf den Herzog ausüben und sein Knie vor dem Bischof beugen. Nach dem Gottesdienst gibt es dann eine Privataudienz beim Bischof bzw.

auch dem Herzog. Vielleicht werden Sie mit hinzu gebeten, aber das ist hoffentlich eher unwahrscheinlich. „

Die Zofe wirkt etwas besorgt. Sie sah mich zweifelnd an. Sie schien für einen Moment zu überlegen, wie sie ihre Sorgen am besten ausdrücken sollte.

„Lady Catherina, bitte denken Sie daran, bei der offiziellen Vorstellung den Blick zu senken. Daran nicht zu denken, hat auch meine Herrin mitunter in Schwierigkeiten gebracht.

Die beiden großmögenden Herren schätzen selbstbewusste Damen überhaupt nicht. Oder besser gesagt, der Herzog liebt es, den Damen ihr Selbstbewusstsein auszutreiben und vom Bischof wird gesagt, dass er es liebe bei den Inquisitionsprozessen für Hexen zu beobachten. „

Na klasse, das hörte sich ja ungemein ermutigend an. Mir sträubten sich jetzt schon die Nackenhaare. Derweil legte Floria eine hoch transparente Feinstrumpfhose heraus und elegante Pumps sowie eine silberfarbene Schärpe für das Kleid.

Ich machte mich fertig.

So lange dauert es gar nicht, bis die ganze Gesellschaft anrückte. Ich wurde von Floria in eine große Halle geführt, wo bereits der Herzog wartete. Bedienungen reichten Champagner-Cocktails und kleine Häppchen. Zusammen mit Jean-Marie und dem Majordomus stand ich vor dem Herzog, der in einer Art Fantasieuniform mit Schärpe steckte, die seinen extremen Schmerbauch wohl kaschieren sollte. Etwas neugierig betrachtete ich diese eigenartige Uniform und sah dann sein Stirnrunzeln, als er meinen Blick auffing.

„Lady Cathleen, ihre Ähnlichkeit mit Gräfin Cathérine wird immer stärker. Ich würde mich freuen, Sie nach der Krönungszeremonie in unserer Privataudienz sehen zu dürfen. „

Na, das hatte mir noch gefehlt. Aber was sollte ich machen? Der gut 50-jährige sah nicht so aus, als ob er ‚nein‘ als Antwort akzeptieren würde. Ich nickte so sanft es ging und ärgerte mich nun, dass ich seine Uniform ausführlich und offen begutachtet hatte.

Aber danach ging alles reibungslos. Die Zeremonie lief ohne jeden Zwischenfall ab. Jean strahlte wie ein Honigkuchenpferd und die Leute in der großen Kirche liebten das Spektakel sehr. Ich war erstaunt über den Mangel an Make-up bei den meisten Frauen und die komplette Abwesenheit von Hosen bei den Frauen. Dann erinnerte ich mich an entsprechende Bemerkungen von Cathérine, dass Hosen für alle weiblichen Wesen als unschicklich galten und nach der Firmung sogar als absolut tabu anzusehen waren.

Alle Frauen trugen zumindest wadenlange Röcke oder Kleider, nur die von höherem Stand in den ersten Reihen hatten gelegentlich solche, die im Sitzen gerade eben die Knie gut bedeckten. Die Männer waren alle gut gekleidet, selbst die offensichtlich ärmeren in den hinteren Bankreihen waren in Anzügen erschienen, die vollkommen defektfrei waren, auch wenn die Stoffe sichtlich von schlechterer Qualität waren.

Der gut 40-jährige Bischof erteilte seinen Segen und langsam drängte sich das Volk aus der vollbesetzten Kirche.

Jean-Marie gab mir ein Handzeichen, damit ich ihm in das Rathaus folgen sollte, wo die Audienz stattfinden sollte. Er reichte mir galant seinen Arm, woraufhin uns der Majordomus und Floria folgten. Es war ein strahlend heller Septembertag und die Temperatur begann zu steigen, als sich die Mittagszeit näherte. In dem durch ruhelos abgeschatteten Zimmer aus der Herzog hinter einem Schreibtisch auf einem Sessel. Rechts hinter ihm stand der relativ schlanke Bischof in seinem schwarzen Talar mit der violetten Schärpe die Leibesmitte.

Floria und der Majordomus blieben draußen vor der Tür stehen. Der Herzog begann zu sprechen:

„Graf Jean-Marie, ich bedaure zutiefst, dass ihre gnädige Mutter, die Gräfin Cathérine, nicht offiziell bei dieser schönen Zeremonie anwesend sein konnte. Es hätte ihr sicherlich gefallen und es wäre auch ziemlich gewesen, bei dieser wichtigen Zäsur anwesend zu sein. Zumal dieser Zeitpunkt auch günstig gewesen wäre, um weiteres zu besprechen. Nun da Ihr den Treueeid geleistet habt, ist es vielleicht angebracht an eine nähere Verbindung unserer beiden Häuser zu denken.

Wie ihr wisst, habe ich eine Tochter, die Prinzessin Ragusa…“

Er macht eine Pause und sah den jungen Grafen erwartungsvoll an. Hier kam mir sofort der Hinweis von Floria ins Gedächtnis. Ich konnte zwar nicht viel tun, aber doch über die Seitenbande, nämlich den Bischof, etwas Verzögerung in das Spiel hineinbringen:

„Hoheit, darf ich darauf hinweisen, dass Lady Cathérine mir von einem Gespräch mit dem Bischof erzählt hat.

Vielleicht wäre ihre Anwesenheit bei diesem Gespräch angebracht?“

Der Herzog sah mich nachdenklich an, während der Bischof so lächelte, als ob er diesen Einwand schon erwartet hätte.

„Lady Cathleen. “ Der Bischof betonte meinen angenommenen Namen sehr auffällig. Sein Lächeln war süffisant.

„Ich habe mir die Freiheit genommen, ihre Fingerabdrücke auf den Champagne Glas mit denen von Lady Cathérine zu vergleichen. Ich war gar nicht so überrascht, als ich die Feststellung machen musste, dass diese identisch sind.

Ich habe mich mit der Gräfin darüber unterhalten, dass ich den seligen Grafen mit dem heutigen Tage als verstorben anerkennen würde und die Gräfin damit frei für eine Heirat wäre. Welch ein Zufall, dass sie gerade mit diesem Tage auf Reisen gegangen ist. „

Er drehte seinen Kopf rapide in Richtung auf den jungen Grafen und schoss seine Frage auf ihn ab, bevor ich irgendeinen Kommentar abgeben konnte:

„Herr Graf, ist ihnen die enorme Ähnlichkeit der Dame an ihrer Seite mit der Gräfin aufgefallen?“

Der junge Mann war durch die Plötzlichkeit der Frage total überrascht und zögerte dementsprechend mit der Beantwortung.

Er warf mir einen Seitenblick zu und zögerte noch mehr.

„Ja, Exzellenz. Schwestern sehen sich allerdings immer ähnlich. „

„Lady Cathleen. “ Der Bischof fixierte mich mit einem eingefrorenen und unangenehmen Lächeln.

„Mir ist zu Ohren gekommen, dass sie angeblich einen Laptop besitzen sollen. Ich habe den Händler befragt, mit dem sie angeblich hierher angereist sind. Er hat mir gesagt, dass Sie mit leichtem Gepäck erst ab Port Leucate in Begleitung der Zofe Floria mit ihm gereist sind und dass ihm Ihr Laptop als ausgesprochen wertvolles Gepäckstück natürlich sofort aufgefallen wäre.

Was sagen Sie dazu, Werte Dame?“

Da hatte er mich natürlich voll auf dem linken Fuß erwischt. Ich konnte ja schlecht sagen, dass ich gestern aus dem Jahr 2048 meiner Welt in das Jahr 2053 seiner Welt gereist war. Ich war ja froh, dass Floria mir ein Foto des Händlers gezeigt hatte, weil ich mit ihm doch gar nicht geredet hatte, schon gar nicht über Gepäckstücke. Ich konnte nur improvisieren und mich darauf verlassen, was ich von Cathérine über diese Welt wusste.

Jetzt verfluchte ich, dass ich nicht auf die geographischen Angaben von Cathérine geachtet hatte, weil ich es für belanglose Träume gehalten hatte.

„Das wertvolle Stück habe ich mit einem bewaffneten Konvoi vorab hierher schicken lassen. Das erschien mir so sicherer. Die Zofe Floria kann den Empfang sicherlich bestätigen. Gräfin Cathérine war so freundlich mich in Port Leucate durch ihre Zofe abholen zu lassen. Und Schwestern haben nun einmal ähnliche Fingerabdrücke.

Der Bischof lachte laut und spöttisch auf. Er flüsterte mit der Leibwache hinter ihm. Er schaute mich dann grimmig an:

„Für wie naiv halten sie mich eigentlich, meine Dame? Es gibt nur Zeugen für ihre Reise innerhalb der Grafschaft. Es gibt keine Zeugen dafür, dass sie mit dem Laptop in ihrem Gepäck angereist sind. Wer hat Sie angeblich außerhalb unserer Grafschaft begleitet? Oder wollen sie mir gar erzählen, dass Sie unbegleitet gereist sind? Selbst ihr eigener Sohn bestätigt die enorme Ähnlichkeit von Ihnen mit seiner Mutter.

Sie wollen mir immer noch erzählen, dass sie Lady Cathleen sind? Ich lasse den Leibarzt der Familie Ferrer holen. Er wird über Narben und Muttermale der Gräfin Bescheid wissen, genau wie die Zofe Floria. „

Das mit den Fingerabdrücken war natürlich brenzlig. Und siedend heiß fiel mir das Muttermal von Cathérine ein, das identisch mit dem meinen war. Die Leibwache führte Doktor Brenner hinein, da der Hausarzt der Familie Ferrer war.

Ich kannte sein Gesicht aus den Träumen. Die Zofe schaute ihn an und tauschte einen Blick mit ihm aus.

„Doktor Brenner und Zofe Floria, ihr kennt sicherlich Narben und Muttermale des Körpers der Gräfin bedingt durch eure Berufe. Bitte nennt uns diese. „

Die Zofe machte schon den Mund auf, noch bevor der Bischof seinen ganz geschlossen hatte.

„Die Narbe auf dem Oberschenkel kennt der Herr Doktor sicherlich gut, da er sie selbst genäht hat, Exzellenz.

Sofort hakte der Bischof nach, indem er beide heranwinkte: „Ich möchte eine genaue Beschreibung der Narbe, aber bitte geflüstert und einer nach dem anderen. Wenn die Beschreibung übereinstimmt, dann können wir sicher sein, dass beide die Wahrheit sagen. “

Ich hatte gestern keine Narbe bei Cathérine wahrgenommen, weder auf dem linken noch auf dem rechten Oberschenkel. Das musste allerdings nichts heißen. Ich selber hatte auch eine versteckte Narbe, die allerdings nicht genäht werden musste und sie war damit zwangsläufig viel kleiner.

Es wäre allerdings ein Riesenzufall, wenn Cathérine eine ähnliche hätte. Muttermale waren Erbgut, also war es möglich, dass wir dieselben hatten. Daher war ich auch Floria dankbar, dass sie Muttermale erst gar nicht erwähnt hatte. Narben waren etwas Erworbenes, das war so gut wie unmöglich, das wir genau dieselben hatten.

Der Bischof nickte zufrieden: „Wir haben eine weitgehende Übereinstimmung der Beschreibung, sie differiert nur in der exakten Länge und der Orientierung der Narbe.

Wir werden bald die Wahrheit wissen. Lady Cathleen, habt Ihr eine Narbe am Oberschenkel?“

„Exzellenz, ich habe nur eine sehr kleine Narbe, da sie nicht genäht werden musste. Ich bin nötigenfalls bereit, dies durch den Doktor prüfen zu lassen. “

Die Enttäuschung auf dem Gesicht des Bischofs war klar zu erkennen. Damit hatte er offensichtlich nicht gerechnet. Aber er gab nicht auf, sondern hakte nach:

„Lady Cathleen, hättet ihr die Güte uns zu sagen, auf welchem Oberschenkel sich diese Narbe befindet?“

Mir war nicht klar, was er mit dieser Frage bezweckte.

Ihm musste doch klar sein, dass eine sehr kleine Narbe niemals die Ausmaße einer genähten haben konnte. Schulterzuckend bestätigte ich ihm den linken Oberschenkel. Er lächelte wieder mehr, während sich plötzlich ein Zweifel auf dem Gesicht des jungen Grafen abmalte.

„Lady Cathleen, genau das haben mir auch der Doktor und die Zofe gesagt. Wollen sie immer noch aufrechterhalten, dass Sie Lady Cathleen sind?“

Seine Strategie war es Zweifel zu wecken.

Das gelang ihm auch mit dem Herzog und mit dem jungen Grafen. Ich wusste nicht so recht, wie ich mich dagegen stellen sollte. Ich musste meinerseits Zweifel säen:

„Meine Narbe ist kleiner als zwei Zentimeter. Es würde mich wundern, bei einer genähten Narbe weniger als vier bis fünf Zentimeter zu finden wären. “

Ich blickte die beiden Zeugen auffordernd an, die auch reagierten. Der Doktor murmelte etwas von knapp fünf und die Zofe von ungefähr vier.

„Doktor Brenner, man kann doch auch Narben kosmetisch behandeln, so dass sie weniger auffällig sind, nicht wahr?“

Der Angesprochene nickte, gab aber zu bedenken, dass geeignete Ärzte hierfür eigentlich nur in Barcelona zu finden wären. Es wäre ihm nicht bekannt, dass die Gräfin in letzter Zeit dort gewesen wäre.

Der Bischof gab trotzdem nicht auf, sondern stellte pur und simpel fest, dass auch eine kleinere Narbe an derselben Stelle und in der gleichen Orientierung doch mehr als ein großer Zufall wäre.

Der Doktor würde ja auch nur annehmen, dass die Gräfin nicht in Barcelona gewesen sei, aber er könne es nicht nachweisen. Er würde also beide bitten, ihm nach der gleichen Prozedur noch einmal den genauen Ort und Sitz der Nabel zu beschreiben.

„Lady Cathleen, sind sie bereit vor uns den Beweis dafür anzutreten, dass die Narbe sich nicht an der von den beiden Zeugen beschriebenen Stelle befindet?“

Was hatte er nun wieder im Schilde? Dann begriff ich es, als der junge Graf errötete, und sofort zu protestieren begann:

„Exzellenz! Das ist nicht schicklich! Wie können sie so etwas als Bischof vorschlagen? Meine Tante ist eine ehrenwerte Dame!“

„Wachen, aus dem Raum! Herr Graf, natürlich gibt es auch noch die Möglichkeit einer Befragung durch die Inquisition.

Ihre ‚Tante‘ hat zugegeben eine Narbe zu haben wie ihre Mutter. Ihre ‚Tante‘ hat dieselben Fingerabdrücke wie ihre Mutter. Das wäre Grund genug für die Inquisition oder will der junge Graf das bestreiten?“

Der Jüngling ärgerte sich sichtlich, und das freute mich, dass er mich so verteidigte. Jetzt musste ich nur bremsen, denn aus der Geschichtsforschung wusste ich genügend über die Inquisition, um diesen Schritt garantiert vermeiden zu wollen.

„Exzellenz, würde nicht ein simples Zeugnis des Doktors ausreichen? Ich habe schon vorhin gesagt, dass sich einer Untersuchung durch ihn zustimmen würde.

Er schüttelte vehement den Kopf und blickte auch den Herzog an, der ebenfalls negativ reagierte. Der Herzog hatte allerdings auf einmal ein Glühen in den Augen, das von nur knapp unterdrückter Lust am Voyeurismus erzählte.

Er stellte knapp fest, dass der Doktor vom gräflichen Budget bezahlt worden und von daher eine Interpretation im Sinne einer Beeinflussung in Richtung auf seinen Arbeitgeber nicht ausgeschlossen war. Innerlich musste ich ihm sogar Recht geben, der Kerl war nicht dumm.

„Lady Cathleen, ich wiederhole meine Aufforderung. Sind sie bereit, vor uns den Beweis dafür anzutreten, dass die Narbe sich nicht an der von den beiden Zeugen beschriebenen Stelle befindet?“

Der junge Graf knirschte mit den Zähnen, aber enthielt sich eines weiteren Kommentars. Ich selber ärgerte mich über den lüsternen Herzog, der sein Entzücken über den Verlauf der Diskussion nur schlecht verbergen konnte. Das einzige was mich tröstete, war die Zuversicht, dass meine kleine Narbe der weiteren Diskussion die Basis entziehen würde.

Ich nickte also resigniert und ergriff dann beherzt den Saum meines Kleides und zog es so weit hoch, dass der Anfangspunkt meiner kleinen Narbe hoch oben im oberen Drittel meines linken Oberschenkels durch die Strumpfhose schwach sichtbar war. Ich deutete mit dem rechten Zeigefinger auf den Punkt.

Der junge Graf wurde rot und blickte betont weg. Floria sah relativ erleichtert aus, der Doktor blickte etwas zweifelnd. Der Herzog sah schon leicht sabbernd aus, was mich abstieß.

„Lady Cathleen, der Doktor ist sichtlich nicht überzeugt. Die Beine sind zu eng zusammen und die Strumpfhose verdeckt noch zu viel…“

Ich starrte den Bischof wortlos an und hörte wie Jean-Marie nach Luft schnappte. Jetzt wurde auch ich rot, als der Herzog sich interessiert vorbeugte. Der Doktor hatte zumindest den Anstand, ein entschuldigendes Lächeln zu zeigen. Ich biss mir auf meine Lippen und griff dann mit beiden Händen unter mein Kleid, während ich einen festeren Stand einnahm.

Der junge Jean-Marie schaute jetzt zu mir hin und konnte seinen Blick nicht mehr abwenden, was es mir schwerer machte mein Vorhaben umzusetzen. Aber ich hatte keine Wahl. Ich zog die Strumpfhose bis auf die Mitte der Oberschenkel herunter und lupfte dann mein Kleid wieder so hoch, um die entblößten Oberschenkel zeigen zu können. Ich sah, wie Jean's Augen groß wurden.

„Die Narbe ist eindeutig kleiner und weniger vertikal. „, äußerte sich Floria.

„Ja, die Narbe ist kleiner. Mit der Neigung bin ich mir nicht ganz sicher“, sagte der Doktor.

Zu meinem Erstaunen nickte der Bischof und erklärte dann ganz sachlich, was er davon hielt:

„Es gibt kein klares Verdikt. Weder ist es erwiesen, dass Lady Cathleen eindeutig nicht mit der Gräfin identisch ist noch ist es ausgeschlossen, dass sie es doch ist. Sie können sich wieder anziehen, meine Dame.

Die Augen vom jungen Grafen und vom Herzog folgten jeder meiner Bewegungen. Das war bald noch peinlicher als das Ausziehen. Vor allen Dingen weil der Zweifel in den Augen vom jungen Jean-Marie nicht zu übersehen war.

„In dieser Situation ist mir eigentlich nur eines ganz klar. Weder der Laptop noch Sie, meine werte Dame, werden Katalonien verlassen können, solange die Situation nicht geklärt ist. Ich nehme an, dass der Herzog durchaus begeistert wäre, eine adlige Dame mit einem wertvollen Laptop als Morgengabe zu ehelichen.

Das würde beide Punkte klären. „

Also das war mir eindeutig zu viel. Hatte der noch alle beisammen? Der war verrückt oder? Aber so leicht ließ ich mir nicht die Butter vom Brot nehmen und so erklärte ich im süßesten Tonfall:

„Exzellenz, meine Schwester, die Gräfin hat mir erklärt, dass sie in ihrem Gespräch mit ihnen sich schon praktisch als verlobt mit dem Herzog betrachtet hatte. Sie werden doch sicher verstehen, dass ich meiner Schwester in diesen Dingen nicht ins Rad greifen kann, nicht wahr? Insbesondere, da es auf Ihren Rat hin geschah, Hochwürden.

Jetzt war es an dem Bischof etwas verblüfft dreinzuschauen. Sichtlich fühlte er sich in seiner eigenen Argumentation gefangen. In der Zwischenzeit verstand ich Cathérine total. Dieser Herzog war einfach unmöglich. Der Bischof zog seine Augenbrauen zusammen.

„Ich hatte zwar den Eindruck, dass die Gräfin nicht unbedingt auf dieser Heirat bestehen wollte, aber ich verstehe durchaus was Sie sagen wollen. Ich will nicht ausschließen, dass die Gräfin auf die eine oder andere Art und Weise bald zurückkommt.

Vielleicht befördert ja mein nächster Vorschlag die Rückkehr in geeigneter Weise. “ Er lächelte sardonisch.

Sein Lächeln gefiel mir nicht, aber die größte Gefahr hatte ich vermutlich schon mal jetzt gebannt. Auf den Laptop konnte ich nötigenfalls verzichten, so groß war der Verlust ja schließlich nicht.

„Person und Laptop können auch bei einer anderen Lösung in Katalonien verbleiben. Ich wäre bereit einen Dispens zu erteilen, damit Graf Jean-Marie Ferrer seine ‚Tante‘ ehelichen kann.

Natürlich bin ich gerne bereit, beiden Parteien eine Bedenkzeit von vierundzwanzig Stunden zu gewähren. Selbstverständlich werde ich dem jungen Grafen dann die Beichte abnehmen. „

Das schlug wie ein Blitz bei mir ein. Das konnte er doch nicht ernst meinen — oder? Ich sah zu dem jungen Mann hin und er war knallrot. Der Bischof konnte nur mühsam ein Grinsen unterdrücken, während der Herzog belämmert drein guckte. Ich richtete mich auf und überlegte blitzschnell eine passende Argumentationskette in dieser Welt.

Ich durfte gar nicht erst irgendeinen Zweifel erlauben:

„Exzellenz, eine Heirat ohne Einverständnis meines Vormundes ist natürlich ausgeschlossen. Die Gräfin von Metz agiert als mein Vormund. Ohne schriftliches Einverständnis ihrerseits ist eine Heirat nicht möglich. Und ich bitte doch zu berücksichtigen, dass meine Schwester ihr Einverständnis für ihren Sohn, meinen Neffen, geben müsste. “ Der Bischof war ungerührt.

„Ich bin mir sehr sicher, dass die Gräfin begeistert wäre, wenn für ihre Gesellschaftsdame ein derartiger gesellschaftlicher Aufstieg möglich wäre.

Ich werde sofort einen Boten losschicken, falls der junge Graf keine Einwände oder Bedenken wegen der Beichte hat. Nur der Graf zählt, die Gräfin ist nicht mehr sein Vormund!“

Plötzlich klickte es bei mir. In meiner Welt war die Beichte ein vernachlässigenswertes Relikt vergangener Zeiten. Hier, in dieser strenggläubigen Welt, war es ein Faktor, der schwer zählen konnte. Der Bischof war immer noch der Meinung, dass ich möglicherweise doch Cathérine war und der junge Graf diese Sünde nie akzeptieren würde, seine Mutter zu ehelichen, selbst wenn er nur einen Zweifel daran hatte, ob ich wirklich nicht Cathérine war.

Der Geistliche war ein perfider Teufel! Er spielte auf allen Tastaturen. Er wartete auf eine Entscheidung von Jean-Marie. Wenn dieser deutliche Zweifel zeigte, dann hätte er seine Bestätigung für seine eigenen Zweifel.

„Exzellenz, ist das nicht alles verfrüht? Ich habe meine Studien noch gar nicht beendet und es gibt vielleicht noch andere Allianzen, die durch eine Heirat zu schmieden wären. „

„Junger Graf, wenn Sie nicht begreifen, welches Potenzial ein Laptop für ihr Haus hätte, dann können ihnen auch weitere Studien nicht helfen! Keine andere Allianz in Katalonien könnte ihnen das einbringen.

Also soll ich jetzt einen Boten in Ihrem Namen losschicken oder haben Sie Bedenken?“

Jean-Marie schluckte nervös. Ihm war sichtlich nicht ganz wohl in seiner Haut. Ich konnte ihn nur zu gut verstehen. Er war gerade eben volljährig geworden und er war im Grunde seines Herzens ein Bücherwurm, der erst noch zum vollwertigen, erwachsenen Mann heranreifen wollte. Aber er war nicht dumm, er durchschaute das Spiel des Bischofs genauso wie ich.

„Also gut, Exzellenz, ich stimme Ihren Überlegungen zu. Selbstverständlich werde ich noch heute selber den Boten beauftragen, Hochwürden. “

Ich war erleichtert, weil der Bischof genau wie der Herzog sichtlich enttäuscht war. Wohl hatten beide darauf gesetzt, dass ich mit der Gräfin identisch war. Dieser Kelch war an mir vorüber gegangen. Dafür war ich jetzt unter Zeitdruck. Wenn Catherine es nicht bald schaffte, den Austausch zurück in meine Welt zu organisieren, dann hatte ich dicke Probleme.

Schon jetzt hatte ich keine Zweifel, dass ein Überschreiten der Grenzen von Katalonien für mich unmöglich sein würde. Sowohl der Bischof als auch der Herzog wurden unverzüglich Anweisungen erteilen, dass ich an der Grenze festgehalten werden würde, falls ich es versuchen sollte auszureisen. Ebenso wenig hatte ich Zweifel daran, dass der Bischof überwachen würde, ob der junge Graf wirklich einen Boten losschicken würde.

Die Audienz war beendet und ich hörte wie Floria erleichtert aufatmete.

Für sie war das ganze wohl auch ein Stress gewesen. Wir gingen schweigend zu dem Anwesen zurück, nachdem sich Doktor Brenner entschuldigend verabschiedet hatte. In der Eingangshalle schickte Jean-Marie die Zofe weg, um einen kleinen Imbiss vorzubereiten nach der langen Audienz.

Dann sah er mich durchdringend an und schien zu überlegen, was er genau sagen sollte:

„Also Cathi, ich werde dir keine weiteren Fragen stellen, nur eine.

Du wirst sicherlich deine Gründe haben, so zu agieren, wie du es mit dem Laptop und allem anderen getan hast. Die eine Frage ist folgende – wie wichtig ist es dir, die Hochzeit mit dem Herzog zu vermeiden?“

Ich notierte sehr wohl, wie er mich Cathi nannte, aber ich ließ ihm das durchgehen, denn sein Tonfall war so ernst, dass ich ihm die Wichtigkeit seiner Frage abnahm.

„Jean-Marie, du hast doch den Herzog gesehen und kennst seine Art selber.

Ich habe so viel Hässliches über diesen Mann von Cathérine gehört, dass ich über alle sieben Berge gehen würde, um eine Heirat mit diesem Mann zu entkommen. Ich habe gehört, wie du über Ragusa denkst. Stell dir einfach vor, du müsstest Ragusa heiraten, dann hast du eine erste Ahnung. „

Er nickte einfach und runzelte dann leise seine Stirn, während er mich fragend ansah und seinen Kopf etwas schräg hielt. Dann murmelte er nur leise:

„Ich mag mich täuschen, aber das habe ich, glaube ich, nur meiner Mutter unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt…“

Oh Scheiß, das kommt davon, wenn man sich nicht konzentriert! Natürlich wusste ich das von den Träumen über Cathérine, aber wie sollte ich ihm das erklären? Entweder hielt er jetzt seine Mutter für eine Plaudertasche oder er hielt mich für seine Mutter.

Es musste auch seinen Grund haben, wenn seine Mutter ihn nicht über ihre ‚Abreise‘ informiert hatte. Also durfte ich ihm auf keinen Fall erklären, dass seine Mutter für alle Zeiten Abschied von Katalonien genommen hatte und auf welche Weise ich ihr geholfen hatte.

„Bist du auch sicher, dass ich den Boten zur Gräfin von Metz schicken soll? Ist das eine kluge Vorgehensweise?“

Da hatte er mich in Erklärungsnot.

Das wusste ich eigentlich selber nicht. Keinen Boten losschicken ging gar nicht, das würde der Bischof garantiert mitbekommen. Den Boten zur Gräfin von Metz hinschicken, während die echte Cathleen dort war, war auch nicht viel besser. Wenn ich nur wüsste, wann Cathérine bereit zum Tausch war und wie lange ein Bote bis nach Metz brauchte? Er bemerkte mein Zögern natürlich.

„Du steckst in Schwierigkeiten, nicht wahr, Cathi? Es ist deutlich zu spüren, aber du brauchst mir auch nicht zu sagen, welche Schwierigkeiten es sind.

Vielleicht ist es besser, wenn es nicht ausgesprochen wird. „

Ich wollte lieber auch nicht wissen, was er sich dachte. Aber es war so süß, dass er helfen wollte. Nur brachte mich das nicht aus meinem Dilemma heraus. Denn eines war inzwischen klar, so wie Cathérine sich das gedacht hatte mit meiner Ausreise in Richtung Paris, so würde das nicht klappen. Da würde auch ein Brief von ihr an ihren Sohn überhaupt nicht helfen.

Die einzige Möglichkeit, die noch geblieben war, war der Bote mit dem Ring nach Perpignan, den sie aber gerade über ihre echte jüngere Schwester Kathleen organisieren wollte. Und sobald einer der Beteiligten direkt Kontakt mit der Gräfin von Metz aufnahm, würde alles auffliegen, weil sich jeder fragen würde, wer nun die echte Schwester war. Das alles konnte ich Jean-Marie natürlich nicht erzählen.

„Cathi, ich habe eine Idee. Einer meiner Freunde schuldet mir noch einen Gefallen.

Wie wäre es, wenn ich ihn in Richtung Metz schicke, aber ihn bereits an der Landesgrenze umkehren lasse mit einem unterschriebenen Dokument? Natürlich wäre die Unterschrift nicht echt, aber ich bezweifele, dass der Bischof die Unterschrift der Gräfin von Metz kennt. „

Ich sah ihn überrascht an. Diese Initiative von ihm hatte ich so nicht erwartet. In den Augen von Cathérine war er immer eher als eine Art von weltfremdem Bücherwurm herüber gekommen.

Sein Vorhaben war jedoch alles andere als risikolos. Wenn dieser Betrug herauskam, dann war nicht nur sein Freund geliefert, sondern auch er selber.

„Das würdest du für mich tun? Jean, das ist kein Spaziergang. Unterschätze den Bischof in seiner Gefährlichkeit auf keinen Fall!“

Er sah mich ganz ruhig an. Ich begriff, dass er natürlich die Machtspiele in dem Herzogtum durchaus gut kannte, viel besser als ich. Ich hatte alles nur als Zuschauerin durch die Augen von Catherine wahrgenommen.

Er hingegen lebte in dieser Welt.

„Cathi, ich bin nicht dumm. Weshalb benutze ich den Namen Cathi, obwohl mir klar ist, dass…“

Er brach einfach ab. Er richtete sich auf und erklärte ganz sachlich, was er auf jeden Fall vermeiden wollte:

„Ich will dich auf keinen Fall in Schwierigkeiten bringen, aber wenn mein guter Freund zurückkommt, dann musst du dich entscheiden. Ist dir das Entkommen von dem Herzog wert, dass du ein anderes Risiko eingehst? Wenn das Schreiben einmal da ist, dann gibt es nämlich nur noch die Hochzeit mit mir.

Denke nicht, dass ich nicht bemerkt habe, wie Floria sich für dich eingesetzt hat. Ich werde sie nichts fragen, aber sei auch vorsichtig mit ihr. „

Da war es, das andere Dilemma. Wenn er dieses Projekt durchzog, dann ging auch er ein beträchtliches Risiko ein. Wollte ich das akzeptieren? Wollte das seine Mutter akzeptieren? Ohne den Ring hatte ich eigentlich keine Wahl. Ich sah ihn so ruhig an, wie ich nur konnte:

„Jean, das ist absolut kein Vergleich.

Rede keinen Unsinn! Der Herzog ist ein machtgieriges Biest, während du ein warmherziger Mensch bist. Lasse dir von keinem Menschen etwas anderes einreden!“

In dem Moment kam die Zofe Florian und rief zum Essen. Ich hätte gern noch mehr gesagt, aber es wurde immer komplizierter. Jean-Marie sah sehr zufrieden aus. Der Tee, den die Zofe servierte, war hervorragend. Es half aber nichts um meine Nervosität und mein Herzklopfen abzumildern. Ich war in dieser Welt gestrandet und musste mit den Regeln in dieser Welt zurechtkommen.

„Wir treffen uns zum Abendessen!“, sagte der junge Graf wohlgelaunt.

Die Zofe sah sich vorsichtig um, bevor sie nahe an mich herantrat. Ihre Miene war halb ängstlich und halb zuversichtlich.

„Lady, ich bin gewarnt worden. Der gute Doktor hat mich informiert, dass die Schergen vom Bischof mich nun im Visier hätten. Er hat mir angeboten, als seine Assistentin zu arbeiten, zumindest solange bis Gras über die ganze Angelegenheit gewachsen ist.

Ich glaube er hat recht. Meine Herrin kann mich hier nicht rausholen, solange der Bischof argwöhnisch ist. Nehmen sie mir es nicht übel, aber ich ziehe es vor, nicht mehr direkt in dem gräflichen Haushalt zu arbeiten. „

Das stimmte mich traurig, aber ich begriff ihre Lage. Sie hatte sich schon mehr engagiert, als von ihr zu erwarten war. Auch sie war mit ihren Aussagen ein Risiko eingegangen und sie war nicht wie Jean-Marie mit der Gräfin verwandt.

Fortsetzung möglich.

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