Walpurgisnacht 03

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Während der Hagelschauer an diesem Morgen über der Bartholomäuskirche in Blankenburg niederging, saß Annegret in der vorletzten Reihe, hatte ihre Hände gefaltet und starrte mit großen Augen nach vorne, wo Pfarrer Blume auf seiner Kanzel stand und inbrünstig predigte, als hinge nicht allein das Seelenheil der Bürger Blankenburgs davon ab, sondern zugleich sein eigenes.

Sie mochte den Pfarrer nicht, weil er so rot im Gesicht wurde, wenn er aus der Bibel las, so laut und hässlich.

Sprach er, flog Speichel in hohem Bogen von seinen Lippen, das konnte Annegret sogar in der vorletzten Reihe sehen. Außerdem hatte er sie immer so vorwurfsvoll angesehen, was Annegret nicht verstand und der Grund dafür war, warum sie inzwischen in den hinteren Teil der Kirche ausgewichen war. So vorwurfsvoll und gleichzeitig voller Begehren, und das verwirrte Annegret noch mehr.

Aber sie mochte die Geschichten, die Pfarrer Blume las, und wünschte sich dann, lesen zu können, um sie zu Hause noch einmal zu erleben.

Geschichten, in denen Jesus einen Lahmen zum Gehen brachte oder bei der Bergpredigt das wenige Brot einsammeln ließ und alle Menschen auf wundersame Weise satt wurden. Sie wollte mehr hören von Wundern und Wanderern, von Heilern und Helfern.

Manchmal hatte das Mädchen das Gefühl, er würde von ihm sprechen. Von ihm und ihr, vom hübschesten und liebsten Jungen der Stadt, der in ihrem Kopf herumspukte, seit sie sich auf dem letzten Viehmarkt im Januar begegnet waren.

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Lächelnd starrte sie mit gefalteten Händen nach vorne zur Kanzel, hörte den Pfarrer reden und verstand nichts als ein paar Worte, Worte, die sie für ein Wunder hielt, weil sie das ausdrückten, was sie dachte, ohne jemals darüber mit einer Menschenseele außer ihrer Großmutter gesprochen zu haben.

„Ich liebe Johannes, geblendet von Anfang an. Die Wahrheit ist, die Woche über denke ich daran, Gelüste zu tun mit ihm.

Götzenanbetung gleich begleitet mich sein Gesicht, seine Stimme, und mein Herz schlägt nur für ihn. Nichts Anderes will ich hören, nur seinen Namen“, rief der Pfarrer für Annegret alleine. Dabei spürte sie das Kribbeln zwischen den großen Zehen, rutschte unruhig auf ihrem Platz hin und her, und wunderte sich, warum sich die Brustwarzen unter ihrem Kleid aufrichteten, denn ihr war nicht kalt, vielmehr das Gegenteil war der Fall. Das blonde Mädchen drückte die gefalteten Hände in den Schoß, presste unbewusst die schlanken Finger in die Falte zwischen ihren Beinen, wo es erregend kitzelte, und unwillkürlich drang ein Seufzen über ihre Lippen, während der Pfarrer Predigten hielt über den Sturm, den Sämann und die Sünderin.

Sie stellte sich vor, es wären nicht ihre Finger, sondern seine, stellte sich sein Lächeln vor, das immer etwas Spitzbübisches hatte.

Annegret liebte seine Hände, sie waren so weich auf ihrem Gesicht. Einem Schwamm gleich hatte sie die wenigen Berührungen der letzten drei Sonntage aufgesogen, sehnte sich nach mehr, nach geflüsterten Worten, nach Lippen auf der Wange, nach einer Umarmung. Johannes war anders als alle Jungen, die ihr nachgestellt hatten, seit ihre Hüften breiter und die Brüste fülliger geworden waren und sie jeden Monat saugfähige Baumwolllappen in ihren Unterrock legen musste.

Zu frech waren sie gewesen, zu schnell mit den Fingern unter ihrem Rock, beim Tanz, bei der Ernte, beim Schnitzen in der Stube, wenn der Bauer nicht hinsah, um nach etwas zu suchen, was Annegret selbst noch nicht gefunden hatte. Unangenehm waren die Finger gewesen, die Hände. Groß und rau, wie die des Knechts, den erst ein zwischen die Beine gerammtes Knie davon überzeugt hatte, von Annegret abzulassen, und das war ein Versehen gewesen bei dem Versuch sich zu wehren.

Sie verstand nicht, was da zwischen den Knien des Knechts gewesen war, es musste ihm dennoch sehr weh getan haben, und seitdem hatte er sie nicht mehr angefasst.

Bei Johannes war es anders, war es erwünscht. Auf einmal wollte sie seine Hände dort auf ihrem Körper spüren, wo es kribbelte und kitzelte, weil der Junge sie verstand, weil er sie nach ihrem Tag im Stall fragte und dem täglichen Kampf um ihren Platz am Tisch, nach den Gemeinheiten des Bauern und seiner Frau, nach ihrem Vater und nach der Großmutter im Wald, die in den letzten Monaten immer häufiger von der verbotenen dritten Tür gesprochen hatte, der Tür in ihrem kleinen windschiefen Haus im Wald, in dem die Alte alleine lebte.

Die dritte Tür, für die Annegret stets zu jung gewesen war, auf die sie aber mit den Jahren immer neugieriger wurde.

Annegret fehlte zu ihrem Glück lediglich der Moment, an dem Johannes offiziell fragte, ob sie mit ihm gehen wolle. Der beste Augenblick würde sich dafür auf der Maifeier bieten, beim Tanz unter dem Maibaum. Dann hätten die Heimlichkeiten ein Ende.

Wieder seufzte das Mädchen, dachte an Johannes und die Zeit bis zum Mittag, wenn sie seine Hände endlich spüren konnte.

Vor zwei Nächten, als sie sich im großen Bett, dass sie mit der anderen Magd und den beiden Töchtern des Meinbauern teilte, unbeobachtet fühlte, hatte zum ersten Mal das Kitzeln selbst verstärkt, hatte sich unter der Decke die Hautfalte gerieben, die durch dichter gewordenes, dunkles Haar verborgen das Dreieck zwischen ihren Schenkeln so besonders machte. Neugierig geworden hatte sie von der Feuchtigkeit gekostet, die Beine in der Dunkelheit weit gespreizt und den feuchten Mittelfinger erneut auf den Punkt gelegt.

So köstlich war das Gefühl, so intensiv das Zittern, das durch ihren Körper gegangen war, dass sie gleich noch Zeige- und Ringfinger hinzu genommen hatte, um die Falte, den kleinen, härter werdenden Knoten zu reiben, drücken, massieren. In der letzten Nacht hatte sie sich auf die Zunge beißen müssen, um ihre Bettgenossen nicht mit einem überraschten Seufzen zu wecken, weil ausgehend von dem Punkt, den sie so eifrig massierte, aus der Tiefe ihres Körpers eine warme Welle eines nie gekannten Gefühls aufstieg und sie bis zum Scheitel überflutete.

In der folgenden Nacht spürte sie auf der Seite liegend, wie Katharina, die jüngere der beiden Meinbauertöchter, sich von hinten an sie presste. Starr vor Schreck wagte sie nicht, sich zu wehren, als Katharina ihr eine Hand unter den Schlafrock schob und ihre Brüste berührte. Augenblicklich wurden ihre Brustwarzen hart und das Kribbeln, das sie in der Nacht zuvor zum ersten Mal gespürt hatte, breitete sich wieder bis zum Scheitel aus.

Annegret hielt den Atem an, fürchtete, das Rascheln der groben Decke würde sie verraten, die anderen aufwecken, doch nichts unterbrach das leise Schnarchen der älteren Magd und das tiefe, ruhige Schnaufen der zweiten Tochter nur wenige Handbreit entfernt. Mutig geworden rieb die Tochter des Mainbauern sich immer stärker an Annegrets Gesäß. Ihre Hand schloss sich um die saftige Wölbung ihrer Brust, der Daumen rieb die aufgerichtete Warze und jetzt spürte Annegret, die gefangen war zwischen schreck und Erregung, auch den süßen Atem des anderen Mädchens um Nacken.

Nie hatte sie gedacht, dass die Berührung eines anderen Menschen, dazu noch eines vom gleichen Geschlecht, ihr so viel Freude bereiten konnte. Ihr Herz trommelte. Und vom Dreieck zwischen ihren Schenkeln ging eine ganz unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Durfte sie das? Durfte sie ihre Hand am Bauch entlang über den Nabel zwischen ihre Beine wandern lassen, dahin, wo das Jucken und Kribbeln immer stärker wurde? Durfte sie den Punkt suchen und ihn drücken, mit dem Mittelfinger und dem Zeigefinger und der ganzen Hand? Plötzlich löste Katharina die Hand von ihrer Brust, griff Annegrets freie Hand und führte sie hinter ihren Rücken.

Widerstrebend erst und schließlich voller entsetzlich erregender Überraschung spürte sie die nackte Haut des anderen Mädchens an ihren Fingern, spürte eine runde Hüfte, einen glatten Schenkel und auf einmal die feuchte Hitze des fremden Dreiecks. Erschrocken zog sie die Hand zurück, doch Katharina griff ein weiteres Mal ihr Handgelenk und führte die Hand erneut zwischen ihre Beine.

„Mach, sonst verrate ich allen, was du gestern Nacht gemacht hast“, zischelte sie Annegret ins Ohr.

Große Angst überschwemmte sie. Würde Katharina damit nicht auch sich selbst verraten? Aber so weit wollte sie es gar nicht kommen lassen. Denn diesmal, nachdem der Schock sich gelegt und eine unerklärliche Neugier die Oberhand gewonnen hatte, erkundete Annegret freiwillig das feuchte Tal hinter dem seidig weichen Haar, fand den gleichen Punkt, dessen Berührung ihr zur selben Zeit so viel Freude bereitete und spürte aufs Neue eine sanfte Berührung an ihrer noch immer erregten Brust.

Mühelos glitt ihr Mittelfinger in den glitschigen Schlitz, badete in feuchter Hitze, während sie sich zur gleichen Zeit denselben Gefallen tat. Nur kam sie bei sich selbst nicht so tief wie bei dem Mädchen, das mit der rechten Hand noch immer den festen Hügel ihrer Brust knetete und die andere Hand weiter unten auf Reise schickte. Zappelnd zwängten sich Katharinas Finger von hinten zwischen die festen Halbmonde und berührten sie an der engen Öffnung, pressten sich dagegen, bohrten sich hinein.

Ein weiteres, nie gekanntes Zittern fuhr durch Annegrets Körper, elektrisierend und magisch. Immer stärker wurden die Empfindungen, immer fordernder die Berührungen, immer kürzer die Abstände, in denen ihr das andere Mädchen in den Nacken atmete und Annegret ihre Mittelfinger in den feuchten Schlitzen rotieren ließ. Und dann rollte plötzlich wieder diese heiße Welle durch den Körper, diesmal von zwei Punkten, ihrer Brust und der Falte zwischen den Schenkeln, die von einer erregt zitternden Hand massiert wurde.

Erschöpft, müde und unglaublich glücklich hatte sie ihre feuchte Hand aus Katharinas Schoß gezogen und war sofort eingeschlafen.

Blume ließ wieder die Gemeinde sich erheben, sie Psalmen und Lieder singen, gab ihnen den Segen. Schließlich, während die Glocken läuteten, schritt der Pfarrer den Mittelgang entlang. Die Gemeinde folgte ihm von der ersten Bank beginnend zur großen Flügeltür hinaus. Ein großer, dunkelhaariger Junge folgte seinem Vater mit gefalteten Händen, kam an Annegrets Bankreihe vorbei, warf einen raschen Blick zur Seite und lächelte.

Annegret ließ errötend mit niedergeschlagenem Blick das Gesangsbuch fallen.

Der Junge bückte sich im Vorbeigehen, seine Mutter schwatzte leise mit ihrer Nachbarin, der Vater war bereits zur Tür hinaus.

„Hallo Annegret“, flüsterte der Junge. Die Rückgabe des Buches ging einher mit einer Berührung, der süßesten Berührung der fremden vertrauten Hand. Sie spürte diesen Aussetzer des Herzens, den man spürt, wenn man entweder verliebt ist oder dem bösartigsten Stier allein auf der Weide begegnet.

„Ich kann heute nicht, mein Vater will mit mir reden. “

Dieser Satz traf Annegret wie ein Schlag mit dem Hirtenstab.

Ihr wurde schwindelig, sie taumelte, atmete flach. Die Enttäuschung packte sie an den Schultern und rüttelte sie durch. Eine ganze Woche voller Hoffnung war Makulatur. Eine Woche schlafloser Nächte, eine Woche erwartungsvoller Vorfreude, eine Woche Sehnsucht.

Dann war er vorbei und Annegret den Tränen nahe.

‚Ich kann heute nicht‘, flüsterte es in ihrem Kopf in endloser Wiederholung. ‚Mein Vater will mit mir reden, mein Vater, mein Vater, mein Vater. ‚

Eine Minute mit ihm alleine, nur eine Minute. Sieben Tage freute sie sich auf die Begegnung, wünschte sich, er würde sie endlich fragen, damit sie sich in der Öffentlichkeit sehen lassen konnten. Genug der heimlichen Berührungen, genug der verstohlenen Blicke und flüchtigen Begegnungen, die nur zu einem Riss im Herzen führten.

Annegret wollte sich auf den Boden werfen, heulen, schreien, ihrer Enttäuschung Ausdruck verleihen, den Pfarrer anschreien und vor allem den Vater ihres Liebsten, der ihr das Glück vorenthielt. Glück, das in Blankenburg niemand mehr verdiente als Annegret, Tochter eines armen Schneiders, Waise, Magd.

Heule nicht, Annegret, zieh lieber trotzig die Nase hoch.

Der letzte Besucher des Gottesdienstes kam an Annegret vorbei, die ihren Korb, der unter der Bank gestanden hatte, nahm und sich einreihte.

Vor der Kirche sah sie den Jungen in der Tränkestraße verschwinden. Still und starr stand sie da, fragte sich, ob sie das Gefühl der Enttäuschung jemals überwinden würde.

Eine einzelne Träne rollte unscheinbar die Wange herunter. Glücklicherweise war die Frau des Meinbauers, bei dem sie seit dem Tod ihres Vaters arbeitete, wieder nicht mit in die Kirche gekommen, weil sie dieses ganze Gerede von Gott und Jesus, der sich für die Menschen geopfert habe, für Unfug hielt.

Die Meinbäuerin hätte sie ausgelacht, hätte sie wegen der Träne einen Löffel mehr schnitzen lassen, aber im Hof gab es genug zu tun, da war kein Platz für einen freien Tag oder einen zwei Stunden langen Gottesdienst.

„Dann soll der Herr Pfarrer mal kommen und die Schweine füttern“, sagte die Meinbäuerin immer, wenn Annegret sie bat, in die Kirche zu kommen, was sie in den letzten Wochen allerdings mit immer weniger Nachdruck gemacht hatte.

„Graf von Blankenburg muss seine Rentenzahlungen bekommen. Wer sonst soll den Geldabgabestopu… Geldgabepostu… Geldabgabepostulen… na, den Postulaten nachkommen, hm?“ Ihr Mann, der wortkarg mit dem Eimer in der Hand in den Stall schlich, verwies auf seine Frau und ging die Kühe melken.

Der Meinbauer war ein schwer arbeitender und heftig trinkender Mann mit zwei Töchtern und einem Sohn. Seine alte Mutter wohnte bei ihnen, dazu ein Knecht. Sie alle teilten sich die Stube, machten aus ihr Wohn- und Schlafraum und erzählten sich abends Geschichten zum Einschlafen.

Großmutter Meinbauer liebte es, von den drei Männern im Walde, die Goldstücke aus den Mündern zogen, zu erzählen, von den Eierschalen, die mit der Stecknadel Freundschaft schlossen, oder den zwölf Brüdern, die zwölf Schwestern hatten, die zwölf Brüder hatten, die zwölf Schwestern hatten. Meist blieb nur Großmutter Meinbauer bis zum Schluss wach, weil ihre Geschichten die langweiligsten waren. Annegret sehnte sich dann nach den Märchen ihrer eigenen Großmutter, die im Wald wohnte, alleine, zurückgezogen, Kräuter verkaufte, Salben machte und Lebenshilfe gab.

Die konnte spannend erzählen von Wölfen, Bären und Räubern, konnte fesseln, ihr hörte Annegret zu, ohne müde zu werden.

Die Sonne wanderte langsam über den wolkenlosen Himmel, stieg über die Dächer der kleinen Stadt und heizte dem Frühlingstag ordentlich ein.

Das blonde Mädchen seufzte endlich das leere Gefühl im Bauch weg, gab sich einen Ruck und lief über den Marktplatz durch die engen Gassen zum Tränketor.

Beim Wirt zum Blauen Bock füllte sie zwei Krüge mit Wein für zehn Groschen, den dritten gab ihr der Wirt mit einem verschwörerischen Blinzeln umsonst dazu, verschloss sie sorgfältig mit einer Schweinsblase und legte sie zum Kuchen in den Korb.

In den letzten Wochen hatte Johannes sie durch den Wald begleitet, ihr das Gefühl von Sicherheit gegeben, auf das sie jetzt verzichten musste. Allein im Wald. Der Gedanke gefiel dem Mädchen nicht, denn inzwischen fürchtete sich Annegret mehr vor Wölfen, blutrünstigen Bestien, die sprechen konnten und kleine Mädchen fraßen als vor den Gefahren, die hinter der dritten Tür lauerten.

Ihr Schritt wurde schneller. Nach dem Tor bog sie links ab in Richtung des Eichenbergs, auf dem drei alte, knorrige Eichen standen — der Meinbauer sagte immer, die Eichen seien Waldgeister, die vor langer Zeit beschlossen hatten, sich nicht mehr zu bewegen, woraufhin seine Frau ihren Mann einen Dummschwätzer schalt.

Vorbei am düsteren Grund verlief der Weg unterhalb des Klosters Michaelstein, und führte direkt in den Wald durch den dunklen Harz.

Der Hohlweg, durchfurcht von Karrenspuren, lief teils am Schmerlenbach entlang, der über kleine Abhänge und Steine plätscherte, sich jäh verbreiterte und wieder verengte, teils durch undurchdringlichen Wald, in dem die Tannen und Fichten dicht standen und die Sonne abschirmten.

Annegret hatte Blankenburg lange hinter sich gelassen, da hallten ihr aus dem dichten Unterholz ungewöhnliche Laute entgegen.

„Au! Aua! Auah! Auhauaha!“

Annegret blieb stehen, lüftete ihr rotes Käppchen und lauschte.

Da war es wieder.

„Au!“

Kurz darauf ertönte ein Rascheln im Gebüsch neben ihr. Annegret trat ängstlich einen Schritt zurück, hob den Korb vor ihre Brust und hielt den Atem an. Wer konnte das sein? Der Knecht? Johannes? Einer der Männer, die ihr beim Wirt gierig hinterher gesehen hatten?

Eine Sekunde später humpelte ein Wolf auf den Weg. Ein großer, grauer Wolf mit gelben Augen und einem Maul voller spitzer Zähne.

Nie zuvor hatte Annegret einen Wolf gesehen, aber in den Geschichten ihrer Großmutter wurde er immer ganz anders beschrieben. Dieser hier war weder kräftig und geschmeidig, noch selbstbewusst und aggressiv, sondern total zerzaust, der graubraune Pelz bedeckt mit lauter kleinen, grünen Tannennadeln, der Gang schief.

„Oh… au… wen haben wir denn da?“, fragte er. Aber sprechen konnte er. Annegret drehte sich um und sah den Waldweg, den sie gekommen war, hinunter.

„Wo?“, fragte Annegret mit zitternder Stimme. Ihr wurde warm unter den Achseln, der Korb wog auf einmal zehn Unzen mehr. Ein Wolf. Es war der größte anzunehmende Unfall in Großmutters Geschichten. Groß und grau, mit scharfen Zähnen. Was konnte sie tun? Was blieb ihr übrig? Der Kopf befahl Annegret umzudrehen und ganz schnell das Weite zu suchen, die Füße wollten sich jedoch nicht bewegen, dafür raste ihr Herz umso schneller.

Weglaufen, rief die Stimme, renn so schnell du kannst. Und die Stimme klang nach ihrer Großmutter, die von Menschen fressenden Wölfen erzählte, von blutrünstigen Bestien, die Kinder rissen, und Schafe, Bauern und Kühe, und von der dritten Tür. Geh nicht hinein. In den Wald und den Raum hinter der Tür. Renne lieber weg.

Nur konnte Annegret nicht flüchten, denn die Füße klebten klettengleich am Waldboden und die Knie waren eine zitternde Brockenanemone im Frühlingswind.

„Naau du. Dich meine ich“, sagte der Wolf, setzte sich auf seine Hinterpfoten und heulte schmerzerfüllt auf.

Er biss nicht, nicht sofort. Zeit für eine Frage. „Du sprichst?“

„Der einzige Wolf im Wald. Weißt du, wie das ist, wenn niemand dich versteht?

„Was?“

„Weißt du wie das ist, wenn dich niemand versteht?“

„Was?“

Wieder heulte der Wolf auf.

„Hätte ich ihn bloß gefressen, diesen elenden…“

„Wieso sprichst du?“

„Bin verdammt… au… echt verdammt… au. “

Das Mädchen nahm seinen ganzen Mut zusammen. Was hatte die Großmutter immer gesagt? Folge nie dem Wolf in den Wald, falls er dich darum bittet. Denke an die dritte Tür. Denke an das, was ich dir gesagt habe. Aber er bat nicht darum. „Ver… verdammt?“

„Verdammt mies dran.

Eines Nachts wache ich auf und bin im Wald“, plauderte der Wolf. „Und dann steht eine alte Frau neben mir und sagt, ich sei verflucht und nur ein Spielmann könne mich retten, indem er mir das Gitarrespielen beibringt. Ich dürfe mit niemandem außer dem Spielmann darüber reden, sonst würde ich auf ewig ein Wolf bleiben. “ Der Wolf hielt einen Moment inne, dann sackte sein Körper eine Idee weit nach vorne. „Oh, Mist. “

Der Wolf machte keine Anstalten, das Maul weit aufzureißen und sie zu verschlingen.

Stattdessen versuchte er mit der Hinterpfote die Nadeln aus dem Fell zu kratzen, scheiterte jedoch im Ansatz. Mit in den Nacken gelegtem Kopf heulte der Wolf. Das gab den Ausschlag. Dieser Wolf, dachte Annegret, ist ja gar nicht gefährlich.

„Wer bist du?“, fragte sie besorgt und ließ ihren Korb sinken.

„Ein verzauberter Königssohn, ehrlich. “

„Ehrlich, ein Königssohn? Und was ist mit dir geschehen?“

„Der letzte Spielmann hat mich gefoppt.

Ich habe einen freien Fall durch sechzehn Ellen hohe Tannen hinter mir. Natürlich erst, nachdem ich die gleiche Strecke nach oben zurückgelegt hatte“, erklärte der Graue. Annegret sah ihn voller Mitgefühl an.

„Kann ich dir helfen?“

„Mir tut alles weh, besonders mein Rücken. Nicht mal diese schrecklich pieksenden Nadeln kann ich abputzen, da wird der Schmerz unerträglich. “

„Du Armer. “ Annegret ging zu dem mit dem Zottelfell und hockte sich neben ihn auf den Weg.

Ihren Korb stellte sie ab und begann, die Nadeln aus dem Pelz zu ziehen.

„Au!“, rief dieser bei jeder Nadel. „Au! Au!“

Und es waren hunderte Nadeln.

„Tu ich dir weh?“

„Au! Auau! Aua!“, erwiderte der Wolf.

„So geht das nicht. “ Seufzend ließ Annegret von ihm ab.

„Dieser verdammte… aaah, ich hätte ihn… auauau!“

„Was machen wir denn jetzt? Ich habe im Korb allein Kuchen und Wein…“ Annegret hob den Zeigefinger der linken Hand und sah die Tannen hinauf.

„Wein!“

Der Wolf hechelte begeistert. „Wein? Herr im Himmel, Wein hab ich ja seit Jahren nicht getrunken. “

Die Erinnerung war ein Schlag auf den Hinterkopf. Bilder tauchten auf vom letzten Winter, als sie mit den Mädchen aus der Spinnstube erst Bier in Unmengen, Schnäpse bis zum Abwinken und schließlich Wein aus Kannen getrunken hatte. Eines wusste sie von diesem Abend: die zahlreichen Stürze beim Tanz hatten nicht weh getan, nur die blauen Flecken und der Kopf am nächsten Morgen.

„Ich war gerade auf dem Weg zu meiner Großmutter. Die wohnt im Wald“, sagte Annegret und öffnete ihren Korb. „Und ich will ihr Kuchen und Wein bringen. Heute ist Sonntag, der Tag des Herrn. “ Sie zeigte dem Wolf einen Krug. Dieser machte spitze Ohren.

„Das ist ein Elbgauer Blauburgunder“, sagte Annegret, dabei lächelte schüchtern. „Der wirkt von innen. “

„Dich schickt der Himmel.

Früher hätte ich für Mädchen wie dich meine rechte Hand gegeben. Ich weiß bloß nicht mehr, wo das war. So viele Burgen habe ich schon durch, Stiege, Stolberg und Harzgerode, und auf Regenstein hat man auf mich geschossen… Dich schickt der Himmel, der Himmel, Wein…“

„Drei Kannen. Probier. “ Sie nahm einen großen Schluck, gab dem Wolf zu trinken, trank wieder selbst einen weiteren Schluck, einen zweiten und dritten, später leckte der Grauhaarige mit rauer Zunge die Neige aus dem Krug.

„Ich mag eigentlich Bier lieber, aber meine Großmutter bittet mich immer um Wein“, Annegret wühlte im Korb und versuchte zu überlegen. Es war ihr Lohn, mit dem sie der Großmutter Wein kaufte, waren ihre zehn Groschen. Der dritte Krug war umsonst gewesen, blieben zwei. Annegret dachte an die vielen Misthaufen, die sie hatte schichten müssen, die vielen gemolkenen Kühe, die harte Arbeit.

Der Wolf jammerte wieder über die Nadeln, das gab den Ausschlag.

Annegret stieß einmal trocken auf, nahm einen großen Schluck und füllte den Wolf mit dem Rest ab. Sie spürte das bekannte Summen im Kopf, die Verschiebung in der Wahrnehmung. Alles um sie herum wurde weich und flüssig, die Lider wurden bleischwer, die Beine bewegten sich in einer selten gespürten Leichtigkeit. Der Wolf brauchte nicht lange, bis er davon redete, er spüre den Schmerz kaum mehr. Außerdem sei das gar nichts im Vergleich zum Aufprall, der sei nun wirklich hart gewesen, und schön sei immer, wenn der Schmerz nachließ.

Annegret zupfte dem Wolf derweil die letzten Nadeln aus dem Pelz, der sich unter ihren Händen weicher anfühlte, als alles, was Annegret bislang gefühlt hatte.

„Nenn‘ mich Wolf. Ich heiße Wolf. “

„Wer!“

„Werwolf?“

„Nein, wer das wissen will!“, sagte Annegret und starrte den Wolf an. Die zwei brachen daraufhin in lautes Gelächter aus. Isegrim kugelte sich vor Lachen auf dem Boden, streckte die Tatzen in die Luft, zeigte seinen weißen Bauch und die schwarze Brust.

Annegret schlug sich mit Tränen in den Augen auf die Schenkel, was sich anfühlte, wie die Berührungen einer anderen Person, die von Katharina, von Johannes. Sie wünschte ihn hierher, wünschte sich, er würde sehen, was sie gerade sah, mit weit geöffneten Augen und Händen, die sich ohne Mühe bewegten.

„Hab‘ ich dir schon die Geschichte von den sieben Geißlein erzählt?“ Annegret machte es sich auf dem weichen Waldboden bequem, stützte ihren Kopf in die Hand und lauschte.

Geschichten, der Wolf erzählte tatsächlich Geschichten. Vielleicht kannte auch Johannes ein paar, von Türen und Toren, von Wundern und Wanderern.

„Nein, erzähl, oh, bitte bitte, erzähl. “

„Also, ich war gerade in der Gegend und dachte mir, guck mal, was die Alten so für Zicken machen…“

Annegret hörte von brutalen Bären, listigen Füchsen und dummen Hühnern. Von ungewohntem Appetit auf rohes Fleisch und langen Kämpfen mit wilden Wölfen, von Treibjagden und der Sehnsucht nach menschlicher Gesellschaft.

Ihr wurde schwindelig. Wie damals in der Spinnstube glätteten sich die Konturen des Waldes und alles fühlte sich so leicht an, so unbeschwert und problemlos. Johannes? War der nicht hier? Hatte sie ihn nicht hinter einem Baum gesehen? Ach, wenn er sie doch nur berühren würde, wie Katharina es in der vergangenen Nacht getan hatte. Wenn sie doch nur diese Welle spüren könnte. Woher kam er denn plötzlich? Warum hatte Johannes eine so lange Zunge, mit der er die letzten Tropfen Wein aus den Kannen leckte? Und wieso war auf einmal ihr Kleid nach oben gerutscht? Wieso drehte sich die Welt in so bunten Farben? Weshalb rollte diese Welle, die am Punkt zwischen ihren Beinen ihren Ausgang nahm, bis zum Scheitel durch ihren Körper, wo sie doch die Hände hinter dem Kopf verschränkt hatte? Warum fand sie sich mit dem Gesicht im weichen Gras wieder, während ihr die Nadeln in die Knie stachen? Warum hörte sie Johannes‘ Stimme wie das Knurren des Wolfes im Ohr und wieso fühlten sich seine Hände auf ihrem Rücken wie Pfoten an? Und weshalb rollte wieder die Welle bis zum Scheitel, wo doch ihre Hände einen trockenen Ast umklammert hielten? Schwindelerregend taumelten Bilder von Pelz und Zunge, von Weinkrügen und Waldboden, von Johannes und Katharina über den dunkler werdenden Himmel.

Zähne, Welle, Kribbeln und Knurren. Erst die Dämmerung schreckte das Mädchen auf. Drei leere Krüge rollten über den Boden. Vom Kuchen waren ein paar Krümel übriggeblieben. Ihre Kleidung war verrutscht. Der Kopf surrte. Der Wolf wich betäubt von ihr zurück, schüttelte den Kopf und begann zu singen.

„Heute blau unn‘ morn blau unn‘ übermorn wieder!“, grölte er den Weg hinuntertorkelnd. Annegret raffte ihre Sachen zusammen und fand sich schwankend vor der Schwelle des kleinen, windschiefen Häuschens mitten auf einer Lichtung im tiefen Wald wieder.

Ohne zu wissen, wie sie es alleine dorthin geschafft hatte, mit schlechtem Gewissen und zaghafter Hand klopfte sie an die Tür, die sich kurz danach öffnete.

Annegret winkte wortlos mit dem leeren Korb in ihrer Hand.

„Annegret!“, hörte sie ihre Großmutter sagen. „Wurdest mit Bier groß?“

„Bier? Verschteh nixhix. “

Mühsam versuchte Annegret mehr als einen unscharfen Umriss von ihrer Großmutter zu erkennen, immer wieder huschte das Bild von links nach rechts.

„Pass auf, die Funken. “

„Ich, klar, pass auf. Hips!“ Der Schluckauf hielt sich hartnäckig. Annegret fühlte eine harte Hand an der Schulter, wunderte sich über die komischen Fragen und ließ sich in das Haus führen. Harter Hocker, schwankender Boden, oben gleich unten, wer hob denn da die Ecken des Zimmers an?

Augen zu, einen Augenblick, Augen zu, Augen auf, die Person vor ihr verschwamm im flackernden Licht des Feuers.

Verschränkte Arme? Arme Großmutter, arme Annegret, armer Wolf. Die Worte, die aus dem Mund der Alten flossen, waren auf einmal seltsam klar.

„Was hast du gemacht? Wo ist der Wein, den du mir bringen wolltest? Und der Kuchen?“

Eine so direkte Frage, dachte Annegret, beantwortet man besser direkt und ehrlich.

„Der Wolf, du, der Wolf hatte Nadln im Pelz, ne, und die habbich ihm ausgezupft.

Zupfzupfzupf“, kam es Annegret von den Lippen. „Aber das tatihm weh, ne, und dann hamwir Wein getrunken, weil das dannnich so weh tut. “ Die Augen hatten sich zu dünnen Schlitzen verengt, mit denen sie ins prasselnde Herdfeuer starrte. Die Bewegung war nicht gut für den Magen, nicht gut, die Bewegung. So flackernd.

„Und er konnte sprechen, oder?“

„Hip! Wer?“

„Der Wolf. “

„Woher weißtn das? Unn das war'n verzauberter Könichssohn, so'n verzauberter.

Wie du mir immer von erzählt hass. “

Wieso wusste die Großmutter immer so viele Dinge, die andere nicht wussten, die man nicht wissen konnte? Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit, nichts blieb der Alten verborgen.

Der nächste Satz ging unter in einer Welle der Übelkeit. Eine seltsame Kraft zog das Mädchen nach vorne vom Schemel, nach oben. Wer zog sie, und warum glaubte ihr die Großmutter die Geschichte vom Wolf nicht?

Annegret ließ sich von der seltsamen Kraft durch die Stube zu einer Tür führen.

„Schlaf dich erst einmal aus, wir reden morgen darüber“, erwiderte die Großmutter. Hinter der Tür lag ein kleiner Korridor, von dem drei Türen abgingen. Annegret kämpfte sich wacker durch die heftige Dünung, von einer Seite des Ganges zur anderen schwankend, auf die erste der drei Türen zu.

„Warte mal“, nuschelte Annegret. Die Großmutter hielt inne.

„Was?“

Das Mädchen zeigte schwankend den Gang hinunter.

„Die Tür, die dritte. Was is‘ eientlich hinner dieser Tür?“

Verboten, hörte sie ihre Großmutter sagen, verboten. Monster, Geister und Ghouls. Und mit schrecklichen Grimassen begleitet hatte sie sich vor die Tür gestellt und den Weg versperrt.

Trotz der massiven Betäubung durch zuviel Blauburgunder wunderte sich Annegret über den harten Griff der Großmutter und so viel Energie.

„Hör mir gut zu, Kind. Darüber habe ich mit dir heute eigentlich reden wollen, das geht ja jetzt leider nicht mehr.

Geh dort nicht hinein, bis wir morgen geredet haben, ist das klar?“

„Das hat mipm Erwachenswern zu tun, ne?“, hakte Annegret nach. Jetzt oder nie, dritte Tür, dritte Tür, dritte Tür, rollte der Gedanke in Annegrets Hirn hin und her. Dritte Tür.

„Ja, und es wird Zeit für dich zu erfahren, was dahinter liegt. “

Die alte Frau schob Annegret in das Schlafzimmer.

Annegret zog sich rasch aus und fiel der Länge nach auf das Lager. Ein letzter Gedanke taumelte durch ihren Verstand, verlor sich zwischen den Synapsen. Der Gedanke daran, wer wohl morgen, an ihrem freien Vormittag, statt ihrer die Kühe auf die Weide treiben würde.

Zum Einödhof des Meinbauers kam man, wenn man den Herzogsweg in Richtung Ziegenkopf nahm, kurz hinter den Bielsteinsklippen nach rechts abbog und eine Viertelmeile geradeaus ging.

Dazu brauchte man von Blankenburg etwa eine halbe Stunde. Konnte man fliegen, ging es jedoch bedeutend schneller.

„…und wären sie nicht gestorben, dann würden sie noch leben“, schloss die Großmutter Meinbauer. Ihr tönte das raue Schnarchen des Bauern entgegen. Die Asche in der Feuerstelle glomm schwach.

„Wieder hat keiner bis zum Ende durchgehalten“, schimpfte die Alte. „Was mache ich falsch?“

Über dieses Problem nachsinnend lag sie eine Weile wach.

Gegen Mitternacht ein Rauschen, als würde ein großer Schwarm Vögel über den Hof hinwegziehen, kurz Ruhe, Frühlingswind pfiff durch die Lücken im Dach und den Fenstern. Großmutter Meinbauer zog die Decke hoch bis zum Kinn. Das Schnarchen ihres Sohnes stoppte, wurde zum Grunzen und brachte wieder die Holzlöffel an der Wand zum vibrieren. Im Stall ging knarrend eine Tür, die Kühe scharrten, raschelten, Kichern ertönte, leises Kichern, heiseres Kichern, dazwischen Schritte im Stroh, Schritte mehrerer Füße.

Die Finsternis bewegte sich, ein Geräusch ertönte, welches der Alten das Blut gefrieren ließ, weil sie es oft genug gehört hatte, ein Geräusch, ein metallisches Heulen. Huiii, und dann ein irres Kreischen. Eine Kuh begann zu brüllen, meckerndes Lachen hallte durch die Stalltür in die Stube.

„Was in Herrgotts…“, brummte der Meinbauer. Er drehte sich auf die Seite, alle anderen saßen aufrecht in den Betten. Das Lachen wurde mehrstimmig, ätzend und heimtückisch, wieder Schritte im Stroh.

„Da, da, da!“, stotterte die Großmutter, die Bettdecke hinaufgezogen bis zum Kinn, den Zeigefinger auf den Stall gerichtet. Die Tür nach draußen öffnete sich knarrend und klappte wieder zu. Der Bauer sprang aus dem Bett und rannte nackt zur Tür, griff die daneben lehnende Mistgabel und stürmte in den Stall. Im selben Moment rauschte es wieder über dem Dach des Hauses, begleitet von einem irren Kreischen. Die Kuh muhte weiterhin aufgeregt.

„Licht!“, rief er in den dunklen Stall. „Licht. “

„Aber das ist so teuer“, tönte seine Frau ängstlich aus der Stube.

„Hissis, mach hin!“

Sofort ertönte das Schlagen des Feuerstahls. Mit schlafwandlerischer Sicherheit glitt der Bauer durch den Stall zu seiner Kuh, dann wurde es hell, weil seine Frau mit einer Kerze in der Tür erschien. Rasch lehnte der Bauer die Mistgabel an die Wand und legte seine Hand auf die Kuh.

Augenblicklich stoppte ihr Muhen. Die Schwarzbunte war äußerlich unversehrt, die anderen fünf Kühe ebenfalls. Der Bauer bückte sich, um das Euter zu befühlen. Wenn der Knecht vergessen hatte, sie abends zu melken, hätte das Euter voller sein müssen.

„Was war das für ein Kichern, Großmutter?“, hörte der Bauer seine Jüngste fragen.

„Das war die…“

„Schick die Kinder ins Bett!“, fauchte er, bevor eine Antwort folgen konnte.

„Und hol mir einen Eimer. “

Instinktiv, vielleicht auch mit dem auf vielen Dorffesten gestählten Gespür für Alkohol, stellte er den Eimer unter die Kuh und brachte mit geübtem Griff an die Zitzen etwas hervor, das weißlich trübe hätte sein müssen, fast geruchlos und fettig, statt dessen rot war und sauer roch. Meinbauer zuckte zurück, die Kuh muhte und bewegte sich. Beinahe kippte sie den Eimer um.

„Um Himmels Willen“, rief er, stand auf und lief zurück zur Tür.

Seine Frau leuchtete ihm heim. „Zieh dir was an. “

Anziehen, keine Zeit dafür, Zeit für Wichtigeres. „Die Kuh ist krank. “

Aus den Betten sahen ihn seine drei Kinder und der Knecht an. Die Großmutter bekreuzigte sich. Er nahm seiner Frau die Kerze aus der Hand und sah sie böse an. „Was? Auch noch die teure?“

Er verzog den Mund, leuchtete in den Holzeimer und roch mit geblähter Nase an der darin schimmernden Flüssigkeit.

„Könnte Blut sein“, sagte er, setzte den Eimer an den Mund und kippte sich den Inhalt hinein. Vom Bett der Kinder kam ein angeekelter Aufschrei.

„Es ist Wein“, sagte er schmatzend. „Rotwein. “

„Lieberherrrgottimhimmelstehunsbei“, murmelte die Großmutter und die Frau des Bauern hielt die Hand vor den Mund. Ihr Mann sah sie nickend an.

„Und zwar ein leichter Klävner“ Er ging zur Tür.

„Gib mir meine Hose. Ich geh melken. “.

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